Der Weckruf

29. Mai 2016

Langsam scheint es auch der deutschen Industrie zu dämmern, was mit der Umsetzung des Klimaschutzplans 2050 auf sie zukommt: Nämlich ihre de – facto Abschaffung im Namen der angestrebten Total – Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft bis 2050.
Hatte sie sich bislang noch offiziell zu den Zielen des Klimaschutzes bekannt (sich nicht dazu zu bekennen ist vor dem Hintergrund des politischen und gesellschaftlichen Umfeldes in Deutschland ohnehin kaum möglich, ohne öffentlich gekreuzigt zu werden), schrillen jetzt jedoch – nachdem die Ergebnisse der Pariser Klimakonferenz im Umweltministerium BMU als klimapolitischer Brandbeschleuniger wirken – die Alarmglocken.

Die Industrie wehrt sich dagegen, alleiniger Lastesel der Klimapolitik zu sein und will auch andere Emittentengruppen mit einbeziehen. Das will der Klimaschutzplan 2050 aber ohnehin schon, denn anders ist die angestrebte Total – Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft sowieso nicht machbar.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) schlägt vor, den europaweiten Emissionshandel auf Kraftstoffe auszuweiten und dadurch die CO2 – Minderungsverpflichtungen auf den Verkehrsektor (also nicht nur auf Neufahrzeuge) auszudehnen.
Neufahrzeuge müssten immer schärfere Verbrauchsvorgaben erfüllen, denen die Hersteller immer schwieriger nachkommen können.
Und überhaupt sollte das bestehende klimapolitische Instrumenten - Gestrüpp mal ordentlich gelichtet werden, so wie z. B. die ersatzlose Abschaffung des EEG, da es nur irrsinnige Kosten, verursacht, aber über die CO2 Minderungen im EU – ETS hinaus keine zusätzlichen CO2 Emissionen mindert.

Dieser Gedanke ist von der Systematik einer angestrebten CO2 Minderung her völlig korrekt. Denn ein Kraftwagen emittiert nicht dadurch CO2, dass er in der Garage steht, sondern dadurch, dass er gefahren wird, Benzin oder Diesel verbraucht und dann CO2 emittiert. Der Klimaeffekt entsteht durch den Gebrauch des Fahrzeuges. Deswegen ist es systematisch richtig, dem Verbraucher als Emittenten die Aufgabe einer CO2 Minderung aufzuerlegen und nicht dem Hersteller des Brennstoffes oder des emittierenden Gerätes, genauso, wie einem Kohlekraftwerk die Minderungsverpflichtung auferlegt wird, und nicht dem Brennstoffproduzenten oder dem Erbauer des Kohlekraftwerkes.

Diesen vom BDI jetzt vorgestellten Gedanken hatten wir hier bereits vor einigen Jahren als Glosse „ Klimarepublik 2020 “ vorgeschlagen (bitte gleich nochmal lesen, ist heute aktueller denn je), allerdings nicht nur bezogen auf den Kraftstoffeinsatz im Verkehrsbereich, sondern auf alle Bereiche des täglichen Lebens.

Aber bleiben wir zunächst beim Kraftstoffeinsatz. Folgt man bei der vorgeschlagenen Ausweitung des europäischen Handelssystems auf den Verkehr den EU – ETS Zuteilungsmodalitäten, so könnte eine Zuteilung von Emissionsrechten auf der Grundlage eines Basisjahres – sagen wir 2015 – erfolgen. Der EU – ETS Bereich würde um diese Emissions- und Zertifikatsmenge erweitert.
Anschliessend würde die Zertifikatemenge in diesem Bereich entlang eines politisch festgelegten Pfades (bspw. um in 2050 gegenüber 2015 eine Minderung von 80% zu erreichen) pro Jahr linear um eine bestimmte Menge reduziert. Dies würde zu einer immer weiteren Verknappung der Zertifikate führen; die Zertifikate stünden in Konkurrenz zu den Zertifikaten, die sich die europaweite Industrie für ihre Anlagen beschaffen müsste.

Der anfängliche Preiseffekt lässt sich schwer vorhersagen. Gegenwärtig sind die Preise niedrig, weil Ende 2008, als der Emissionsminderungspfad und die Anzahl der demzufolgend ex – ante zugeteilten Zertifikate beschlossen wurde, nicht vorhergesehen wurde, dass die europäische Wirtschaft in eine längere Rezessionsphase eintreten würde, weswegen erheblich weniger Zertifikate benötigt wurden, als Ende 2008 vorhergesehen wurde.
In einem Emissionshandelssystem ist es einerlei, ob die Emissionsminderung durch Absenkung der Produktion durch eine wirtschaftliche Schwächephase oder durch spezifische Minderungsmassnahmen erzielt wird.

Auch die Tatsache, dass die Preise für Zertifikate niedrig sind, bedeutet nicht, dass das System nicht funktioniert, sondern dass die ex – ante festgelegten Minderungen zu geringeren Kosten erzielt werden, als viele anfangs geglaubt haben.
Dies scheint vielen, die über das EU – ETS berichten, nicht klar zu sein: In einem Emissionshandelssystem ist die Emissionsmenge die fixe und der Preis die variable Größe.

Die Emissionen werden durch eine ordnungsrechtlich festgelegte Obergrenze reduziert, und nicht durch hohe oder niedrige Preise!


Grundsätzlich muss man aber davon ausgehen, dass mit der zunehmenden Verknappung der Zertifikate der Preis drastisch steigt.

Im Verkehrssektor könnte man ein Handelssystem administrativ recht einfach dadurch umsetzen, dass die Mineralölkonzerne die notwendige Zertifikatemenge erwerben und die Kosten hierfür auf den Benzinpreis an der Zapfsäule aufschlagen. Der Finanzminister dürfte sich dann auch freuen, denn er kann noch die Mehrwertsteuer auf den Zertifikatepreis abkassieren, wenn nicht die Zertifikate ohnehin schon auf dem Auktionswege dem Markt zugeführt wurden und die Auktionserlöse in die Staatkasse fliessen.

Weil das ganze System so einfach ist, lässt es sich problemlos auch auf andere Bereiche, wie Heizöl und Erdgas ausweiten. Dann hätte man auch die Raumwärme- und Warmwasserbereitstellung, die für einen nicht unerheblichen Teil der CO2 Emissionen verantwortlich sind, erfasst und bräuchte sich nicht jedes Jahr neue Vorschriften und Verschärfungen bestehender, wie der Wärmenutzungsverordnung, auszudenken.

Mit ziemlicher Sicherheit kann man aber schon jetzt sagen, dass irgendwann einmal das „law of unintended consequences“ zuschlagen wird.

Denn wenn ein Total – Dekarbonisierungspfad bis 2050 einmal über ein Emissionshandelssystem festgelegt wurde, gibt es kein Entrinnen mehr, da die Emissionsobergrenzen rechtlich verbindlich festgelegt und durch die Anzahl der zugeteilten Emissionszertifikate genau überwacht werden können.

So gesehen ist ein Emissionshandelssystem das beste und zielsicherste Instrument, um die Klimadiktatur einzuführen. Der BDI sollte sich vielleicht überlegen, ob er das wirklich will.

In der realen Welt wird die alleinige politische Fixierung auf ein CO2 Minderungsziel (wonach es gegenwärtig aussieht; die CO2 Minderungspolitik übt nicht nur ein Primat auf andere Politikbereiche aus, sondern eher ein Diktat) nämlich zu einigen Problemen führen.

Wenn eine Dekarbonisierungsrate festgelegt wurde, die schneller ist, als das, was technologisch machbar ist, und die alte CO2 Technologie beibehalten wird (oder beibehalten werden muss, weil es nichts anderes gibt), dann werden entweder die CO2 Zertifikatspreise ins Unendliche steigen – d. h. Autofahren, warme Wohnung, Industrieproduktion etc. werden unbezahlbar, oder es muss auf den Komfort, den die Nutzung fossiler Energie jetzt bietet, verzichtet werden:
Also kein Autofahren mehr, keine warme Wohnung mehr, stark reduzierte Industrieproduktion, Arbeitsplatzabbau, sinkende Einkommen, Armut.

Denn genau hierin liegt der Hammer – Effekt eines Emissionshandelssystems, der die Wirtschaft und die Bürger voll treffen wird. Das CO2 Klimaziel wird durch den Emissionshandel erreicht – aber um den Preis eines Kahlschlags auf allen anderen Gebieten.

Diese Welt wird nicht mehr die gleiche sein – nicht weil das Klima sich ändert, sondern weil die Klimapolitik das Land zerstört.

Das sollte auch der BDI erkennen, denn schlussendlich ist nicht die Wahl des klimapolitischen Instruments entscheidend für die schädlichen Auswirkungen der Klimapolitik auf Wirtschaft und Gesellschaft, sondern die extreme Dekarbonisierungsforderung bis 2050 an sich.
Denn die kann weder mit einem Emissionshandelssystem noch mit verschärftem Ordnungsrecht erreicht werden, ohne der Wirtschaft und dem Bürger immens zu schaden.

Die Auffassung in der Klimapolitik, aus der Pariser Klimavereinbarung resultiere für Deutschland rechtsverbindlich eine vollständige oder nahezu vollständige Dekarbonisierung bis 2050, ist sicherlich unzutreffend, weswegen eine solide Lobbying Position gegen diese Forderungen aufgebaut werden sollte.

Denn in der Klima – Vereinbarung heißt es (Art. 4, 1):

Parties aim to reach global peaking of greenhouse gas emissions as soon as possible, recognizing that peaking will take longer for developing country Parties, and to undertake rapid reductions thereafter in accordance with best available science, so as to achieve a balance between anthropogenic emissions by sources and removals by sinks of greenhouse gases in the second half of this century, on the basis of equity, and in the context of sustainable development and efforts to eradicate poverty.


Gefordert wird für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts ein weltweites Gleichgewicht zwischen Treibhausgasquellen- und senken. Die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts umspannt den Zeitraum von 2050 bis 2100 und endet nicht in 2050.

Deswegen sollte die langfristige Strategie der Wirtschaft nicht nur darauf ausgerichtet sein, effiziente klimapolitische Instrumente zu fordern, sondern die extremen Dekarbonisierungsforderungen bis 2050 an sich abzulehnen.
Denn sie sind es letztendlich, die der Wirtschaft schaden.