Fiesta Mexicana: Rettet Cancun die internationale Klimapolitik?



20. Dezember 2010


Man ist versucht zu meinen: Die Klimapolitik schon, aber nicht das Klima

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Nach dem für viele Seiten unbefriedigendem Ergebnis der 15. UN Vertragsstaatenkonferenz COP15 im Dezember 2009 in Kopenhagen wurde der Erwartungshorizont für die 16. UN Klimakonferenz im mexikanischen Cancun bewusst niedrig gehängt und folgte damit dem altbekannten Skript vorangegangener Klimakonferenzen: Mit wenig rechnen, um dann in letzter Sekunde ein Karnickel aus dem Hut zu zaubern, das dann alle Beteiligten als Erfolg feiern können.

Was in Cancun gerettet wurde, ist der internationale Verhandlungsprozess auf UN Ebene, der nach dem Kopenhagener Ergebnis gefährdet schien, denn der „Copenhagen Accord“, der von den sog. BASIC Staaten und den USA quasi unter Ausschluss der UN Öffentlichkeit ausgehandelt wurde, wurde vom UN Plenum lediglich zur Kenntnis genommen, aber nicht offiziell im einstimmigen Konsens abgesegnet, wie es die UN Regularien erfordern.

Der Verlauf der diesjährigen Konferenz erschien aus Perspektive der Verhandler zunächst ungünstig, nachdem Japan aber auch Australien und die Russische Föderation ankündigten, sie würden keine weiteren Verpflichtungen im Rahmen einer Weiterführung des Kyoto Protokolls nach 2012, dem Jahr des Auslaufens des Kyoto Protokolls, übernehmen.

Das Abschlussdokument der Konferenz ist, was die weiteren Verpflichtungen der Industriestaaten nach 2012 betrifft, relativ weich formuliert und lässt reichlich Interpretationsspielraum offen, enthält aber keine rechtlich bindenden Verpflichtungen („targets and timetables“), die eigentlich schon 2009 in Kopenhagen verabschiedet werden sollten.

Die genauen Ausformulierungen wurden, wie bereits 2009, auf die nachfolgende COP im nächsten Jahr verschoben.
Zur Kenntnis genommen wird dem Dokument zufolge die Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen der Industriestaaten bis 2020 um 25 – 40 % gegenüber 1990 zu reduzieren.

Wichtig für interessierte Kreise ist ferner die Absichtserklärung, die sog. Flexiblen Instrumente des Kyoto Protokolls (KP), nämlich Joint Implementation (Art. 6 KP), den Clean Development Mechanism (Art. 12 KP) und Emission Trading zwischen den Industriestaaten (Art. 17 KP) nach 2012 weiter zu führen.

Dies erfordert jedoch die rechtlich verbindliche und durch Monitoring Mechanismen nachvollziehbare Akzeptanz von definierten Emissionsbudgets nach 2012. Dies müssen nicht unbedingt Minderungen im Vergleich zu 1990 sein, wie von der UN beabsichtigt, aber, wie bereits in der Periode 2008 – 2012 erforderlich, durch Monitoringsysteme nachvollziehbare Emissionsbudgets.

Emissionsbudgets bedeuten aber Brennstoff-Rationierung, ohne Rationierung keine flexiblen Mechanismen nach 2012.

Lesenswerter ist das Dokument zur langfristigen Zusammenarbeit zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern, das über die reine Fortführung des Kyoto Prokokolls hinausreicht.
Hier wird das bereits in Kopenhagen beschworene 2° Ziel als Handlungsgrundlage bestätigt, allerdings wird – anders als in Kopenhagen - auf ein langfristiges Minderungsziel bis 2050 verzichtet.

Das Dokument konzentriert sich im Wesentlichen auf drei Bereiche:

- Anpassungsmaßnahmen
- Minderungsmaßnahmen
- Finanzierungsmechanismen und Finanztransfers von den Industrie- in die Entwicklungsländer

In Bezug auf Anpassungsmaßnahmen wird ein Cancun Adaptation Framework geschaffen, der insbesondere den ärmsten vom Klimawandel betroffenen Ländern Hilfen in vielerlei Hinsicht bereitstellen soll, als Ausichtsgremium soll ein Adaptation Committee eingesetzt werden.

Emissionsbegrenzungs und -minderungsmassnahmen sollen sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten durchgeführt werden. Betont wird die Rolle eines zuverlässigen Monitorings derartiger Maßnahmen.

Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Wälderschutz zuteil, dessen Rolle als Kohlenstoffspeicher und –senke gestärkt werden soll.

Ferner sollen marktbasierte Mechanismen eingerichtet werden, mit denen die Kosten von Minderungsmaßnahmen so gering wie möglich gehalten werden sollen.
Als marktbasierte Mechanismen werden bereits die flexiblen Instrumente des Kyoto Protokolls angesehen, nämlich der Emissionshandel nach Art. 17, aber auch CDM (Art. 12) und JI (Art. 6). Sie sollen wohl auch auf diejenigen Länder ausgeweitet werden, die den Vorgaben des Kyoto Protokolls nicht unterliegen, sich aber zu Minderungsmaßnahmen verpflichten (werden).

Beachtenswert ist immerhin, dass auch nachteilige wirtschaftliche und soziale Auswirkungen von Minderungsmaßnahmen Berücksichtigung finden sollen – also: Es soll ein Abwägungsprozess zwischen den Kosten des Klimawandels und den Kosten der Emissionsvermeidung bzw. den Kosten der Anpassung stattfinden.

Interessant wird’s natürlich immer dann, wenn’s ums Geld geht.



Cancun bestätigt die Kopenhagener Beschlüsse, dass die Industriestaaten den Entwicklungsländern zwischen 2010 und 2012 jährlich 30 Mrd. USD zur Verfügung stellen sollen; anschließend soll dieser Betrag bis 2020 auf 100 Mrd. USD jährlich ansteigen.
Ein nennenswerter Teil dieser Summe soll durch einen Green Climate Fund GCF fließen und für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel verwendet werden. Der Fund soll durch einen Rat von 24 Mitgliedern verwaltet werden, die in gleicher Zahl den Industrie- und den Entwicklungsländern entstammen.

Als Aufsichts- und Kontrollgremium ((Trustee) soll die Weltbank fungieren.

Der Klimafund soll durch ein Übergangsgremium ausgestaltet werden, das aus 40 Mitgliedern besteht, von denen 15 Mitglieder aus den Industriestaaten und 25 aus Entwicklungsländern stammen.

Weitere Gremien sollen für die Überwachung der Finanzierungsmechanismen und Mechanismen zum Technologietransfer eingerichtet werden.

Die UN hat also beschlossen, nicht mehr Demokratie, sondern mehr Bürokratie zu wagen

.

Man fühlt sich an das Bonmot unter Umweltexperten erinnert: Umweltschutz schafft Arbeitsplätze – in der Bürokratie, der Verwaltung, in Beraterfirmen und Rechtsanwaltskanzleien. Insoweit können einige Interessengruppen mit dem Ergebnis von Cancun durchaus zufrieden sein.

Kritischer schaut es indes mit der Administration der Finanzmittel aus.


Zunächst die Frage: Wo soll dieses Geld eigentlich herkommen?

100 Mrd. USD pro Jahr bis 2020 sollen wohl überwiegend aus Steuermitteln in den Industriestaaten aufgebracht und anschließend in die Entwicklungsländer transferiert werden, wobei die Kontrollmechanismen eher vage sind; das Übergangsgremium besteht mehrheitlich aus Mitgliedern aus den Entwicklungsländern.

Würde das bedeuten, die Steuergelder aus den Industriestaaten sind dann deren Kontrolle entzogen?

Beschlossen wurde in Cancun also, sehr viel Geld anderer Leute zu verteilen, nämlich ihre Steuergelder liebe Leserinnen und Leser.
Nichts macht ja bekanntlich so viel Spaß wie das Geld anderer Leute zu verteilen.

In diesem Sinne war Cancun eine veritable Fiesta Mexicana.

Nun kann man auf irgendwelchen UN Konferenzen in fernen Ländern sehr viel beschließen, die Frage ist nur: wird das auch zuhause von den nationalen Parlamenten umgesetzt werden?
So hat die EU schon viel beschlossen, z. B. einen EURO Stabilitätspakt oder eine Lissabon Strategie, der zufolge die EU bis 2010 die dynamischste und wachstumsstärkste Region der Welt werden sollte.

Daraus wurde nichts, wie wir inzwischen wissen.

Ist es politisch in Deutschland und anderswo durchsetzbar, Steuern zu erhöhen oder Ausgaben z.B. im sozialen Bereich zu senken, wie zum Bankenrettungspaket und zur Stabilisierung des Euro, um sehr viel Geld an nicht genauer kontrollierte internationale Gremien zu transferieren?

Was wird der US-amerikanische Kongress, der einer ambitionierten Klimapolitik ohnehin recht zurückhaltend gegenüber steht, dazu sagen, wenn er über den Transfer von zig Milliarden USD Steuergelder an die in den USA nicht besonders hoch angesehene UN Bürokratie befinden soll?

Was bringt Cancun fürs Klima?



Nicht sehr viel, außer dass der UN Verhandlungsprozess weitergeführt wird. Denn die wichtigen Entscheidungen, die eigentlich schon in Kopenhagen getroffen werden sollten, sind zunächst einmal ein Jahr weiter in die Zukunft verschoben worden, diesmal nach 2011 ins südafrikanische Durban. Cancun ist für die Klimapolitik ein Teilerfolg auf einer wohl noch längeren Wegstrecke.

Die Karavane zieht weiter.

Absehbar aus heutiger Sicht ist, dass sich die größeren Emittenten – auf die es für das Klima wirklich ankommt - in den nächsten Jahren eher kaum zu rechtlich verbindlichen Emissionsminderungsmaßnahmen verpflichten werden.

Die TOP 5 dieser Länder, für deutlich mehr als die Hälfte der weltweiten Emissionen verantwortlich, sind China, die USA, Indien, die Russische Föderation und Japan (s. z. B. hier).

Besonders die Wachstumsraten Chinas und Indiens aber auch die weiterer bevölkerungsreicher und wachstumsstarker Länder, wie Brasiliens und Indonesiens, werden absehbar hoch bleiben, so dass sich ihr relativer - aber auch ihr absoluter - Anteil an den weltweiten Emissionen in den nächsten Jahren weiter deutlich erhöhen wird.

Wenn sich diese Länder nicht an einem weltweiten Klimaabkommen beteiligen werden, ist es fast schon unerheblich, was der Rest der Welt macht.

Überspitzt formuliert: Auch wenn die EU-27 ihre Emissionen auf Null reduzieren würde, wäre der Einfluss auf das globale Klima selbst in 100 Jahren kaum nachweisbar.

Die EU ist zwar nicht klimapolitisch aber klimatisch in die Irrelevanz abgerutscht. Sie tut aber weiter so, als wäre sie der Nabel der Klimawelt und könne das Weltklima im Alleingang retten.