Das VW Debakel

13. Oktober 2015

So blöd kann man doch gar nicht sein! war die erste Reaktion auf die Nachricht, dass VW in bestimmte Dieselfahrzeuge eine Manipulationssoftware eingebaut hat, die erkennt, ob sich ein Fahrzeug im Testmodus oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Im Testmodus erfüllt das Fahrzeug dann die stringenten Abgasvorgaben für Stickoxide ( NOX), im normalen Fahrbetrieb dann nicht mehr.
Weswegen hat VW so etwas gemacht? Offenkundig deswegen, weil ohne diese Betrugssoftware die Fahrzeuge im normalen Fahrbetrieb wohl die NOX Grenzwerte eingehalten hätten, dann aber mehr Kraftstoff verbraucht und eine geringere Motorleistung erbracht hätten.

Moderne Dieselantriebe sind für die deutsche Automobilindustrie von zentraler Bedeutung für die Erfüllung immer stringenterer Verbrauchs- bzw. CO2 Emissionsvorgaben sowohl in Europa als auch in den USA, anders als z. B. für die japanische Automobilindustrie, die auf Hybridantriebe setzt.

Die Anwendung dieser Betrugssoftware fügt nicht nur VW einen bislang kaum einschätzbaren finanziellen Schaden zu, sondern beschädigt auch das Image der deutschen Automobilindustrie und auch das der deutschen Industrie insgesamt („Faked in Germany“ statt Made in Germany).

Zudem gerät die Dieseltechnologie generell in Verruf, weswegen man schon hier und da die Totenglocken läuten lässt, teilweise mit überzogenen und kaum nachvollziehbaren Argumenten.

Was für VW besonders schlimm ist, dass der Konzern die Betrugssoftware in Dieselfahrzeuge für den amerikanischen Markt eingebaut hat: Denn die daraus resultierenden juristischen und finanziellen Konsequenzen sind völlig unabsehbar und könnten in letzter Konsequenz das Überleben des Konzerns gefährden.

Man fragt sich im Nachhinein, was das sollte. Denn Dieselantrieb für Personenkraftwagen ist in den USA eine Nischentechnologie, nur ca. 5% der Fahrzeuge laufen mit Dieselkraftstoff. Diesel hat in den USA ein Trecker – Image, zudem ist Dieselkraftstoff ca. 10 – 20 % teurer als unverbleites Normalbenzin, weswegen der Verbrauchsvorteil schon erheblich sein muss, um auch zu einem Betriebskostenvorteil gegenüber Benzinantrieb zu führen.
VW steht mit seinen Dieselmodellen im Wettbewerb mit Benzinmodellen von Honda, Toyota, Kia, Hyundai, aber auch mit kleineren Modellen von Ford, die kaum mehr verbrauchen als VW Dieselfahrzeuge (z. B. hier und hier).

Das wichtigste für VW ist es, aufzuklären, wer für die Installation der Betrugssoftware verantwortlich war und wie hoch in der VW Hierarchie das Wissen darüber reichte. Der zurückgetretene VW Vorstandschef Winterkorn hat erklärt, nichts davon gewußt zu haben. Das mag sein.
Andrerseits ist es wenig warscheinlich, dass irgendwelche „rogue engineers“ bei VW ohne Wissen, Duldung oder Anordnung einer übergeordneten Hierarchieebene einfach mal so diese Betrugssoftware installiert haben.

Moderne Industrieunternehmen sind straff hierarchisch organisiert, quasi nach dem „Führerprinzip“: Was oben angeordnet wird, wird unten ausgeführt und niemand sollte aus der Reihe tanzen. Widerspruch wird nicht geduldet. Andrerseits erreicht nicht jeder Vorgang auf Abteilungsebene auch die Vorstandsebene.

Wie dem auch sei, die schnelle Dingfestmachung der Verantwortlichen ist für VW eminent wichtig um einerseits das Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen und um andrerseits in den jetzt anstehenden Strafverfahren tätige Reue zu demonstrieren und ferner bei den zu erwartenden Strafzahlungen auf ein geringes Mass an Milde zu hoffen: Denn wenn VW nachweisen kann, dass die Vorstandsebene in der Tat von den betrügerischen Machenschaften im Konzern nichts wusste, wird man VW Fahrlässigkeit, aber nicht betrügerische Absicht vorwerfen können. VW ist dann selbst Opfer von betrügerischen Machenschaften im Konzern geworden.

Entscheidend für die Zukunft von VW wird die Höhe des finanziellen Schadens sein, die dem Konzern aus der Abgasaffäre erwächst.

Der Schaden lässt sich auf drei Bereiche aufteilen:

- Strafzahlungen veranlasst durch die amerikanische Umweltbehörde EPA

- Kosten der Rückrufaktion zwecks Korrektur der Betrugssoftware und Schadensersatzforderungen der betroffenen Fahrzeugeigentümer sowie Strafzahlungen im Rahmen von Sammelklagen in den USA

- Absatzrückgänge durch Vertrauens- und Imageverlust

- Strafzahlungen veranlasst durch die amerikanische Umweltbehörde EPA



Die amerikanische Umweltbehörde EPA hat bereits klar gemacht, dass sie VW mit dramatischen Strafzahlungen belegen wird. Die Umgehung der Umweltgesetze an sich ist für sie strafwürdig genug, auch wenn auf den ersten Blick kein demonstrabler und nachweisbarer Schaden für die Umwelt und für die Bürger entstanden ist.

Was aber dennoch absehbar ist, dass sie argumentieren wird, VW habe durch den Mehrausstoß von Stickoxiden die Gesundheit und das Leben der Bürger gefährdet. Sie kann gar nicht anders argumentieren, denn der Grund für die immer weitergehende Verschärfung von Abgaswerten und Luftqualitätsgrenzwerten ist der Schutz von Gesundheit und Leben der Bürger.
Die EPA beruft sich dabei – genauso wie die EU Kommission oder das Umweltbundesamt – auf epidemiologische Studien, in denen genau vorgerechnet wird, dass die zusätzliche Emission von x Tonnen NOX zu y Mikrogramm zusätzlicher Luftbelastung führt was dann zu z zusätzlichen Todes- oder Krankheitsfällen führt – die Argumente werden hier bereits vorschattiert.

Dass diese Argumentation sehr umstritten ist, dass es sich dabei um fiktive Computer – Modellannahmen handelt, dass auch nicht darlegbar ist, wie bei den gegenwärtigen, erheblich geringeren Schadstoffkonzentrationen in der Umgebungsluft als in den letzten Jahrzehnten, geringfügige, kaum oder gar nicht messbare Erhöhungen der Schadstoffkonzentration toxikologisch begründbar zu zusätzlichen Krankheits- und Todesfällen führen sollen, und dass z. B. auch nicht darlegbar ist, wieso zunehmende Asthma Inzidenz durch Luftschadstoffe verursacht werden soll, obwohl die Luftschadstoff - Konzentration erheblich gesunken ist, dass es ferner viele Studien gibt, die bei den gegenwärtigen Schadstoffkonzentrationen in der Umgebungsluft keinen Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen und Mortalität bzw. Morbidität zeigen , und dass die mittlere Lebenserwartung im ungleich stärker verschmutzten Shanghai deutlich höher ist als in amerikanischen Großstädten wird die EPA nicht davon abhalten, auf ihrer Argumentation zu beharren, so wie sie es auch in anderen Bereichen getan hat.

Diese Argumente werden so sicher kommen, wie das Amen in der Kirche.

Die VW Anwälte werden entscheiden müssen, ob sie die EPA Argumentation so akzeptieren, oder ob sie sie hinterfragen und damit riskieren, die EPA zu verärgern und diese die Strafzahlungen „wegen mangelnder Einsicht“ oder so was in der Art noch mal extra erhöht. Die EPA will an VW ein Exempel statuieren, soviel scheint klar zu sein.

- Kosten der Rückrufaktion zwecks Korrektur der Betrugssoftware und Schadensersatzforderungen der betroffenen Fahrzeugeigentümer sowie Strafzahlungen im Rahmen von Sammelklagen in den USA



Dieser Punkt alleine wird für VW sehr teuer werden. Denn es geht nicht nur darum, eine neue Software aufzuspielen, das ginge ja noch: Mit der neuen Software werden die betroffenen Dieselfahrzeuge dann wohl die NOX Emissionen auch im normalen Fahrbetrieb einhalten, aber sehr wahrscheinlich werden dann der Verbrauch höher und die Motorleistung geringer sein. Wenn das nicht so wäre, hätte VW die Abgaswerte von vorneherein nicht zu türken brauchen.

Die Kunden haben dann also ein Fahrzeug, das gegenüber dem, was sie erwartet haben, minderwertig ist. Sie werden zu Recht Schadensersatz fordern. Dieser könnte in den USA durchaus bei mehreren Tausend $ pro Fahrzeug liegen, wenn nicht die Kunden sogar die Rückabwicklung des Kaufvertrages für das Fahrzeug fordern.

Hinzu kommt, dass auf dem Wege der Sammelklagen Strafzahlungen gegen VW verhängt werden. Die Anwaltskanzleien in den USA wetzen jetzt bereits die Messer. Die Forderungen werden wahrscheinlich in bislang nie erreichte Höhen klettern.

Man muss dazu wissen, dass der Hass auf und die Dämonisierung von mächtigen Industriekonzernen in der Psyche des amerikanischen Rechtswesens tief verankert sind.
Nicht ohne Grund handeln z. B. mehrere Bücher des amerikanischen Bestsellerauthors John Grisham von Klagen gegen ebensolche mächtige Konzerne, denen verbrecherische Machenschaften zur Last gelegt werden, so z. B. in den Büchern „The Pelican File“ „The Rain Maker“ oder „Gray Mountain“.

Noch dazu ist VW (aus amerikanischer Warte) ein ausländischer Konzern, was einen zusätzlichen Anreiz gibt, extreme Strafzahlungen zu fordern nach dem Motto: Was bilden die sich eigentlich ein, denen werden wir es mal zeigen. Pikant ist zudem, dass Deutschland sich im Umweltbereich immer moralisierend und oberlehrerhaft aufspielt, was noch einen Anreiz mehr darstellt, einem deutschen Unternehmen mal ordentlich eins auszuwischen.

- Absatzrückgänge durch Vertrauens- und Imageverlust



Dieser Punkt stellt vielleicht die größte Gefahr dar, könnte aber durch eine schonungslose und überzeugende Aufklärung der Abgasaffäre noch am besten gemeistert werden, wenn es VW gelingt, dadurch das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen.
VW muss demonstrieren, dass seine Dieselfahrzeuge auf allen Bereichen wettbewerbsfähig sind und die gesetzlichen Vorgaben erfüllen. Die VW Affäre wird nicht den Untergang der Dieseltechnologie einläuten, da Diesel zumindest in Europa zu viele Verbrauchs- und Kostenvorteile hat.
Zu behaupten, die einseitige Förderung von Dieselantrieb verhindere die Umstellung auf Elektrofahrzeuge verkennt, dass nicht die Hersteller die Marktdurchdringung mit Elektrofahrzeugen verhindern, sondern dass der Markt Elektrofahrzeuge wegen ihrer Nachteile auf vielen Gebieten nicht akzeptiert. Sie sind erheblich teurer als „normale“ Personenkraftwagen, haben eine sehr geringe Reichweite, das Aufladen der Batterien dauert Stunden, und dann hat man wieder nur eine geringe Reichweite, die Batterien haben eine begrenzte Lebensdauer und müssen dann für viel Geld ausgewechselt werden.
Ein modernes Dieselfahrzeug hat eine Reichweite von über 1000 km, der Betankungsvorgang dauert nur wenige Minuten, ein Dieselmotor hält in der Regel mehr als 300000 km.

Die Abgasaffäre wird VW sehr teuer zu stehen kommen. VW ist für das wirtschaftliche Wohlergehen der gesamten Region Südostniedersachsen von zentraler Bedeutung: Geht es VW gut, geht es der Region gut, geht es VW schlecht, geht es der Region schlecht.

VW wird es in den nächsten ein bis zwei Jahren sehr schlecht gehen. Bereits jetzt werden in Erwartung der extremen Kostenbelastung viele Projekte bei VW gestrichen, die kommunalen Haushalte in der Region werden auf strikte Sparmassnahmen eingestellt.

Der Belegschaft werden Boni und Tantiemen gestrichen, Arbeitsplatzverluste sind nicht ausgeschlossen. Dafür, dass einige Wenige im Konzern etwas im großen Maßstab versiebt haben, werden Zehntausende büßen müssen, in welcher Form auch immer.

Wir alle hier in der Region hoffen und glauben aber, dass VW wieder auf die Spur kommt.