Ist der kalte Winter 2010 in Europa eine Folge des Treibhauseffektes?



28. Dezember 2010


In letzter Zeit geisterte eine interessante Debatte durch die Medienlandschaft und durch Internetforen: Aufgeschreckt durch zwei recht kalte und sehr schneereiche Winter in Europa in Folge, die nicht so ganz in das Bild eines wärmeren Klimas passen, versuchen Klimaalarmisten der verdutzten Öffentlichkeit weiszumachen, kalte und schneereiche Winter seien eine Folge der globalen Erwärmung durch Treibhausgase.

Wir erinnern uns: Gab es in den vergangenen Jahren einen milden, regnerischen oder sogar stürmischen Winter, war das natürlich in der medialen Debatte und nach Aussagen von Klimaalarmisten eine Auswirkung des Klimawandels durch Treibhausgase.

Immerhin insoweit nachvollziehbar, als eine globale Erwärmung zu einer Erwärmung führen sollte.

Die Urasche der milden Winter in Deutschland und Europa war jedoch weniger ein gestiegener Treibhausgasgehalt der Atmosphäre als bestimmte Schwankungen in der Windzirkulation über dem Atlantik: Nämlich eine gesteigerte Westwindströmung, mit der verstärkt milde ozeanische Luft vom Atlantik nach Mitteleuropa hereinwehte.
Dabei sind in der Regel das berühmte Islandtief und das Azorenhoch wesentlich stärker als normal.

In der Meteorologie bezeichnet man die Schwankungen in der Stärke des Islandtiefs und des Azorenhochs als die Nordatlantische Oszillation NAO: Wenn Islandtief und Azorenhoch verstärkt sind, ist die NAO positiv, wenn beide abgeschwächt sind, oder sogar ihre Positionen vertauscht haben (Islandhoch und Azorentief), ist sie negativ.

Positive NAOs führen zu milden Wintern in Europa, negative zu kalten, weil uns dann keine milde Luftströmung vom Atlantik mehr erreicht, sondern eine kalte aus Norden, Nordwesten oder Nordosten.

Die sehr milden Winter der 1990er Jahre, aber auch 1974/75, 1982/83, 1999/2000 und 2006/2007 wiesen alle stark positive NAO Werte auf, die kalten Winter wie 1962/63, 1969/70, 1978/79, 1985, 1987, 2009/10 und auch der Dezember 2010 wiesen hohe negative NAO Werte auf.

Eng mit der NAO verbunden ist die sog. AO (Arctic Oscillation) oder NAM (Northern Annular Mode), die nicht nur die Luftdruckdifferenzen über dem Nordatlantik beschreibt, sondern generell Druckdifferenzen zwischen den mittleren und den hohen Breiten.

Wenn AO oder NAM positiv sind, ist die Westströmung auch bei uns verstärkt und die Winter sind mild, sind AO und NAM negativ, sind die Winter auch in Deutschland kalt.

Die Hauptursache kalter - aber auch schneereicher (s. z. B. Henderson und Leathers, 2010) - Winter in Europa ist also heute wie früher eine stark negative NAO, AO oder NAM.

Die klimawissenschaftliche Frage, um die es geht:

Ändert sich durch die Treibhausgase die Stärke oder sogar das Vorzeichen der NAO, AO, NAM und als Folge davon die Häufigkeit milder oder kalter Winter in Deutschland und Europa?

Viele Forschergruppen haben sich mit dieser Frage befasst und Klimamodellstudien durchgeführt. Das Ergebnis ist sehr uneindeutig (z.B. Karpechko, 2010). In den Worten von z.B. Sigmond und Scinocca (2010):

Obtaining credible climate change projections in NH extratropical winter is challenging, as the current generation of coupled atmosphere–ocean models shows a wide range in the NAM response to increasing greenhouse gases.

Einige Forschergruppen meinen, NAO, AO oder NAM verstärken sich durch den Treibhausgasanstieg (z.B. Choi et al, 2010; Ihara und Kushnir, 2009; Gillet und Stott, 2009), andere meinen, sie schwächen sich ab (z. B. Morgenstern et al, 2010).
In beiden Fällen scheinen die Änderungen aber nicht sehr ausgeprägt und signifikant zu sein.

Auf Grundlage der heute vorliegenden Modell - Erkenntnisse (z. B. Karpechko, 2010; Morgenstern et al, 2010; Sigmond und Scinocca, 2010) kann man jedenfalls nicht behaupten, wie es einige Auguren in der Vergangenheit getan haben, die NAO, AO oder NAM verstärke sich und wir bekommen deswegen mehr Stürme in Europa. Gleichfalls ist es nicht möglich zu behaupten, wir bekommen kältere Winter, weil die NAO, AO oder NAM sich abschwächen.

Aussagen von Klimaforschern entweder in der einen oder der anderen Richtung entbehren deswegen einer belastbaren wissenschaftlichen Grundlage.

In den letzten Jahren ist nun ein neuer, zusätzlicher Aspekt diskutiert worden, der allerdings implizit schon immer in den Klimamodellrechnungen enthalten war, nämlich die Auswirkung des abschmelzenden Polareises auf die atmosphärische Dynamik in den Polarregionen und den angrenzenden Gebieten.

Dass die Auswirkungen der abschmelzende Polareisdecke eigentlich bereits seit langem durch die Klimamodellsimulationen erfasst werden, zeigt sich daran, dass die Erwärmung wegen der sogenannten Eis - Albedo – Rückkoppelung in den Polarregionen besonders stark sein soll, da nach dem Abschmelzen des Polareises das Sonnenlicht vom offenen Wasser wesentlich weniger stark zurückgestreut, stattdessen aber absorbiert wird und die Erwärmung verstärkt.

Besonders in den Sommermonaten ist die Eisausdehnung vor allem im ostsibirischen Teil der Arktis in den letzten 10 Jahren sehr stark zurückgegangen, d.h. wo früher Eis war, ist jetzt offenes Wasser. Das Wasser ist erheblich wärmer als Eis und gibt seine Wärme im Herbst an die Atmosphäre ab. In dieser erwärmten Luft bilden sich dann im sibirischen Teil der Arktis im Frühwinter verstärkt Hochdruckgebiete, an deren Ost- und Südseite stärker als sonst Kaltluft nach Süden fließt und dort ungewöhnlich kalte Witterung auslöst, vor allem über Ostasien.

Diesen Zusammenhang konnten mehrere Forschergruppen sowohl durch statistische Analysen als auch durch Modellrechnungen durchaus plausibel darstellen (z. B. Francis et al, 2009; Honda et al, 2009; Petoukhov und Semenov, 2010; Seierstad und Bader, 2009; Wu und Zhang, 2010), obwohl diese Ergebnisse eigentlich den anderen Modellrechnungen (wie z. B. in Choi et al, 2010 dargelegt) widersprechen.

Welchen Modellergebnissen soll man jetzt glauben?

Genau von dem Abschmelzeffekt des Eises im ostsibirischen Teil des Polarmeeres ist jetzt aber im Zusammenhang mit der kalten Witterung in Europa die Rede.
Die Frage ist: Ist dieser Effekt ursächlich für die kalte Witterung oder könnte er einen signifikanten Beitrag geleistet haben?
Und ist er realistisch eingedenk der sonstigen Klimamodellrechnungen, die eher eine starke Erwärmung der mittleren Breiten – auch in Europa – prophezeien?

Die grundlegende Ursache für kalte Winter in Mitteleuropa ist eine stark negative NAO, AO oder NAM (siehe hierzu auch Cohen et al, 2010).

Die NAO, AO oder NAM haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht abgeschwächt, sondern tendenziell – besonders in den 1990er Jahren - eher verstärkt.

Deswegen kann man heute keinen belastbaren Zusammenhang zwischen gelegentlichen stark negativen NAO, AO oder NAM Phasen und Treibhausgasen herstellen.

Die Ursachen für die Schwankungen der NAO, AO und NAM sind im Wesentlichen unbekannt. Negative NAO Phasen waren nach Meinung vieler Klimaforscher während der Kleinen Eiszeit und in Zeiten verringerter Sonnenaktivität häufiger als heute und deswegen eher mit einem global kalten Klima assoziiert, genauso wie während der 1960er Jahre, obwohl seinerzeit die Sonnenaktivität noch recht hoch war.

Der Eisschmelzeffekt über dem ostsibirischen arktischen Ozean ist ein interessantes wissenschaftliches Phänomen, doch er stellt nur einen Faktor von vielen dar, die die Witterung in den angrenzenden Regionen beeinflussen können, aber keinen ursächlichen und entscheidenden.

Das zeigt allein schon der Blick auf die Situation in 2007/2008: 2007 war das Jahr mit der größten Eisschmelze in der sibirischen Arktis, der nachfolgende Winter war über dem gesamten eurasischen Kontinent, vom Ostatlantik bis zum Westpazifik, in allen drei Wintermonaten erheblich zu warm. Also nix mit kalten Wintern.

Auch das häufig von Klimaalarmisten vorgebrachte Argument, dieses oder jene Witterungsextrem „stehe im Einklang mit Klimamodellvorhersagen“ zieht hier sicherlich nicht, denn man muss ja fragen: Mit welchen Modellrechnungen denn eigentlich, wenn die Simulationen sich so stark voneinander unterscheiden.

Zudem kann man ebenso argumentieren, das Auftreten dieser Extreme steht auch im Einklang mit der Hypothese, dass Treibhausgase noch keine Wirkung zeigen, da die natürliche Schwankungsbreite des Auftretens derartiger Extreme keineswegs überschritten ist.

Es wird sehr wahrscheinlich auch in den nächsten Jahrzehnten sowohl kalte und schneereiche als auch milde und regnerische Winter in Mitteleuropa geben, ohne dass man einen menschlichen Einfluss nachweisen kann.

Im Grossen und Ganzen ist diese Diskussion eine Luftnummer.