The Rule of Nine13. März 2016Seit seiner Wiederwahl im November 2012 hat US Präsident Obama den Kampf gegen den Klimawandel zum zentralen Thema seiner zweiten Amtsperiode erklärt. Er will als Klimapräsident in die Geschichte eingehen.Bereits während seiner ersten Amtszeit hat er 2009 versucht, in den USA ein Emissionshandelssystem für Industrieanlagen einzuführen mit dem – ähnlich dem europäischen Handelssystem EU – ETS – die Treibhausgasemissionen reduziert werden sollten. Die Einführung dieses Systems ist seinerzeit am Widerstand des US Senats gescheitert. Seither versucht Obama, seine Klimapolitik auf dem Weg präsidialer Dekrete (Executive Orders) über die US Umweltbehörde EPA durchzusetzen. Hierzu legte er 2014 einen Entwurf zu einem Clean Power Plan (CPP) vor, mit dem die Treibhausgasemissionen aus Kraftwerken reduziert werden sollten. Gegen diesen Plan gab es seitens der Industrie aber auch von der Mehrheit der US Bundesstaaten erheblichen Widerstand. Der Plan war sehr anspruchsvoll, könnte aber nach Einschätzung von Beobachtern durchaus umgesetzt werden, da er der Kraftwirtschaft keine zusätzlichen größeren Emissionsminderungen abverlangt hätte, als sie zwischen 2005 und 2012 durch die Umstellung der Kohleverstromung auf Erdgas ohnehin erreicht hat. Erdgas ist in dieser Zeit durch die Anwendung moderner Förderungstechniken (Fracking) erheblich billiger geworden und wurde gegenüber der Kohle konkurrenzfähig. Erdgas hat zudem den Vorteil, dass bei der Stromerzeugung nur etwa halb soviel CO2 freigesetzt wird (pro kWh Strom) wie bei der Kohle. Ein erheblicher Teil der Senkung der amerikanischen CO2 Emissionen seit 2005 ist auf den „Fuel Switch“ von Kohle auf Gas zurückzuführen. Obama und die EPA haben auf die Kritik an ihrem 2014 vorgelegten Plan dadurch reagiert, dass sie die Zielvorgaben so verschärft haben, dass die Emissionsminderungen im Kraftwerksbereich nicht mehr mit einem Fuel Switch von Kohle auf Gas erreicht werden können, sondern nur noch durch einen stark ausgeweiteten Einsatz CO2 freier Energien, wie z. B. Wind und Sonne. Obama hat also de facto über die EPA eine Energiewende a l`Americaine dekretiert. Die Reaktion der Wirtschaft und der Mehrheit der US Bundesstaaten war vorhersehbar: Es brach eine Klagewelle über die Gerichte herein. Grundtenor: Die EPA hat ihr Mandat erheblich überschritten, ihr CPP stellt einen massiven Eingriff in die Wirtschafts- und Industriestruktur der USA dar. Die Klagen landeten sehr schnell beim Obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court of the United States (SCOTUS, im Jargon der Akronyme). Anfang Februar 2016 fällte der Supreme Court eine überraschende Entscheidung : Mit fünf Stimmen gegen vier verfügte er einen sog. „Stay“, das heißt er untersagte bis zu einer endgültigen Entscheidung des Gerichts die weitere Umsetzung des CPP. Viele Beobachter werteten diesen Stay als eine Vorentscheidung für ein endgültiges Urteil des Gerichts. Der CPP und mithin Obamas Klimapolitik und seine bei der Klimakonferenz in Paris eingegangene CO2 Minderungsverpflichtung sind in Gefahr. Wenige Tage nach der Entscheidung des Supreme Courts trat ein Ereignis ein, mit dem wohl niemand gerechnet hatte: Einer der obersten Richter, nämlich Antonin Scalia, wohl der konservativste Richter des Supreme Courts, verstarb überraschend während eines Wochenendtrips auf einer Ranch in Texas. Damit sind sehr wahrscheinlich alle Spekulationen hinsichtlich einer ablehnenden Gerichtsentscheidung zum CPP hinfällig. Denn das Votum gegen den CPP erfolgte, wie viele andere Entscheidungen des Supreme Courts, strikt entlang der ideologischen und politischen Linien. Richter des Supreme Courts werden vom Präsidenten benannt und müssen vom US Senat bestätigt werden. Einmal bestätigt, bleiben sie lebenslang im Amt. Wenn ein Präsident „seinen“ Kandidaten ins Amt hieven kann, kann er dadurch die politische Richtung des Landes möglicherweise für Jahrzehnte vorgeben. Antonin Scalia wurde vom konservativen Präsidenten Ronald Reagan in den 1980er Jahren ernannt. Scalia prägte seither mit der konservativen Mehrheit des Supreme Courts die politische Landschaft der USA. Die wirkliche Macht im Lande liegt – so auch der Tenor eines Steve Martini Thrillers „The Rule of Nine" – weder beim Präsidenten, noch beim Kongress oder Senat, sondern beim Supreme Court: The Rule of Nine. Wenn ein Präsident das Glück hat, während seiner Amtszeit mehrere Oberste Richter benennen zu dürfen, kann er damit die politisch – ideologische Ausrichtung des Landes u. U. für Jahrzehnte festlegen. Das war natürlich auch vielen Umwelt – Lobby Gruppen sofort klar, die den Tod Antonin Scalias mit reichlich pietätlosen Freudenfeuern kommentierten. Denn die Chancen des CPP, den Supreme Court zu überleben, haben sich nach Scalias Tod erheblich verbessert. Freuten sich einige Tage zuvor noch die Gegner von Obamas Klimaplan über das Urteil, so jubilieren nun die Umwelt Lobby Organisationen. Obama wird mit allen Mitteln versuchen, einen liberalen Kandidaten zu benennen, läuft aber Gefahr, dass der Senat den Kandidaten ablehnt. Die Republikaner ihrerseits wollen die Senatsbestätigung bis zur Präsidentschaftswahl im November 2016 hinauszögern, in der Hoffnung, sie werden die Wahl gewinnen und könnten dann ihren eigenen Kandidaten benennen. Eine gefährliche Strategie, weil zum einen der Ausgang der Wahl völlig offen ist, und zum anderen, weil nicht nur der Präsident neu gewählt wird, sondern auch der komplette Kongress und ein Drittel der Senatssitze. Die Republikaner halten im Senat nur eine knappe Mehrheit von vier Sitzen, bei der Neuwahl könnte die Mehrheit durchaus verloren gehen. Sie könnten sich dann einem Szenario gegenüber sehen, bei dem sie sowohl die Präsidentschaftswahl als auch die Senatsmehrheit verloren haben und ein demokratischer Präsident einen Kandidaten seiner Wahl mit Leichtigkeit durch die demokratische Senatsmehrheit bestätigt werden könnte. Obamas Position ist allerdings nicht besser: Wenn er versucht, einen liberalen Kandidaten zu benennen, der vom Senat mit Sicherheit abgelehnt wird, könnte sich das ganze Verfahren bis nach der Wahl im November hinziehen. Wenn dann ein republikanischer Kandidat die Präsidentschaftswahlen gewinnt, kann er einen konservativen Kandidaten zum Supreme Court benennen, der von einer weiter denkbaren republikanischen Senatsmehrheit schnell betätigt würde. Ziel verfehlt für Obama. Obama ist allerdings ein gewiefter Taktiker, dem schon irgendeine intelligente Strategie einfallen wird, sich aus diesem Dilemma zu befreien. Wir lassen uns überraschen. |
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