Deutschland im März 2011: Von der gepeinigten Seele eines geschundenen Volkes




19. März 2011


Herzlich willkommen in der Anti-Atomrepublik Deutschland!




An sich war’s ja klar: Sollte es irgendwo auf der Welt noch einmal zu einem Reaktorunfall vom Schlage Tschernobyls oder Three Mile Islands kommen, dann wär’s das gewesen für die Atomenergie in Deutschland.

Egal, ob die Begleitumstände vergleichbar mit der Situation in Deutschland wären oder nicht, das interessiert keinen Menschen: Weg mit der Kernkraft!

Insofern war die Reaktion in Deutschland auf die Atomkatastrophe in Japan absehbar und wenig überraschend.
Es hat wenig Sinn, in dem emotional aufgeheizten Klima der Massenhysterie auf die völlige Unvergleichbarkeit mit der Situation in Japan hinzuweisen, wer das tut, setzt sich allenfalls der Gefahr aus, vom Mob öffentlich gelyncht zu werden.

Und überhaupt: Wieso brauchen wir die Kernkraft? Der Strom kommt doch aus der Steckdose, und wenn nicht, dann gibt es doch diesen tollen Solar- und Windstrom. Wir können die ganzen Atommeiler (und die Kohlekraftwerke sowieso) doch schon morgen durch Wind und Sonne ersetzen, das haben uns die Massenmedien, allen voran die durch öffentliche Gelder finanzierten öffentlich-rechtlichen Medien ARD und ZDF, schon seit Jahr und Tag einzureden versucht, obwohl jeder, der nur halbwegs was von Energiewirtschaft versteht, weiß, dass dies blanker Unfug ist.

Die Reaktion der Politik auf das Atomdesaster in Japan – präziser: auf die öffentliche und vor allem die veröffentlichte Reaktion hierzulande darauf – war dann auch im Rahmen dessen, was man in einer Demokratie erwartet: Da die öffentliche Stimmung und Wahrnehmung darüber entscheiden, wer an die Macht kommt, wer an der Macht bleibt und welche politische Entscheidungen gefällt werden, muss die Politik folgerichtig auf öffentliche Hysterie reagieren, und zwar nicht argumentativ, sondern dadurch, dass sie handelt oder zumindest den Anschein des Handelns erweckt, so wie wir das aus der Klimapolitik ja bereits gewohnt sind.

Wie handelt man in dieser Situation: dadurch, das man ein paar Atomkraftwerke vorübergehend abschaltet. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, ein Bekenntnis für oder wider die Atomenergie abzugeben, sondern darum, den Mob, die öffentliche Hysterie, die aufgewühlte Stimmung zu besänftigen. Das heißt aber auch, dass man die öffentliche Hysterie nicht als psycho-pathologisch verstehen darf, sondern als im Kern ernst und berechtigt wahrnehmen muss.

Also muss man der Öffentlichkeit auch irgendwie vermitteln, dass es sich beim „Handeln“ nicht um Symbolismus handelt, sondern um ernst gemeintes Handeln.

Hier liegt das Problem der Politik. Die Politik weiß, dass man nicht von heute auf morgen aus der Kernkraft aussteigen kann, muss aber für die öffentliche Wahrnehmung so tun, als könne man das.

Kanzlerin Angela Merkel weiß all das und hat - auch im Vorfeld der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Ende März 2011 – versucht, sich irgendwie durchzulavieren. Nämlich eigentlich Pro-Kernkraft zu sein, aber der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln ihr sei es Ernst mit dem finalen Ausstieg. So etwas kann gut gehen, muss aber nicht.

Dann kam etwas, womit das Anti-Atomlager wohl überhaupt nicht gerechnet hatte, und was nun wirklich in vielerlei Hinsicht tief in die deutsche Volksseele blicken lässt. Durch eine Indiskretion wurde das Protokoll einer internen BDI Sitzung vom 14 März 2011 den Medien zugespielt, worauf diese, wie man im Englischen sagt, „ballistic“ gegangen sind.

In dieser Sitzung hat sich BMWi Brüderle zu der bevorstehenden Abschaltung mehrerer AKWs in Reaktion auf das Atomdesaster in Japan derart geäußert, dass sie eher wahltaktisch motiviert sei und implizierte damit, dies würde weniger die innere Überzeugung der Bundesregierung widerspiegeln, man müsse aus der Kernenergie endgültig aussteigen.
Brüderle sagte damit im Wesentlichen nur das, was die meisten politischen Beobachter ohnehin wussten, was aber andrerseits in der emotional aufgepeitschten öffentlichen Hysterie gerade die Botschaft war, die man nicht hören wollte. Der Anti-Atom Mob verlangt ein ehrliches Bekenntnis zum finalen Atomausstieg.

Nun fragt man sich zweierlei: Was motivierte einen der Teilnehmer an der hochrangigen BDI Sitzung in dieser Situation dazu, das interne BDI Protokoll den Medien zuzuspielen, wohl wissend, das er dadurch nicht nur die Bundesregierung, sondern auch den BDI desavouiert?

Und zweitens: Wie naiv sind die Medien eigentlich, besonders die öko-sozialistischen, die üblicherweise in der politischen Analyse sehr feinsinnig sind, dass sie wirklich ernsthaft geglaubt haben, der Bundesregierung sei es mit dem finalen Ausstieg aus der Atomenergie ernst und dass die Entscheidung, einige Meiler vorübergehend abzuschalten, auch vor dem Hintergrund wahltaktischer Überlegungen gefallen ist? Entweder sie sind wirklich so naiv, oder sie wissen es besser, tun aber so, als sei ihnen das nicht klar, in welchem Fall sie unglaubwürdig und unaufrichtig wirken.

Der Fall des BDI Informanten, der wahrscheinlich enttarnt werden und seinen Job verlieren wird, zeigt, dass die Wirtschaft nicht monolithisch hinter der Kernenergie steht, sondern dass es abweichende Strömungen gibt. Vielleicht hatte auch nur jemand Spaß daran, innerhalb des BDI und der Bundesregierung für Unruhe zu sorgen.
Der Hauptgeschäftsführer des BDI, Schnappauf, hat dann auch bereits übereilt und wenig nachvollziehbar die Konsequenzen aus diesem Medien Debakel gezogen und ist zurückgetreten. Wahrscheinlich gab es da aber eine Vorgeschichte, denn diese Indiskretion allein, die er nicht zu verantworten hat, reicht nicht für einen Rücktritt.

Der BDI verfolgt wohl eher keine ideologischen Positionen für oder gegen die Kernenergie. Ausschlaggebend für die deutsche Wirtschaft ist eine sichere Energie- und Stromversorgung zu bezahlbaren und wettbewerbsfähigen Preisen; hier leistet die Kernenergie einen wichtigen Beitrag - und regenerative halt nicht. Deswegen und aus keinem anderen Grunde ist die Wirtschaft für ein Festhalten an der Kernenergie.

Sollte sich die Politik aber auf einen finalen Ausstieg festlegen, was nach der Wahl in Baden-Württemberg sehr wahrscheinlich ist, wird die Wirtschaft auch damit leben müssen und ihn mit tragen, wie auch bereits die ungeliebten Vorgaben der Klimapolitik.
Wenn die Wirtschaft die politischen Vorgaben nicht ändern kann, muss und wird sie aus der gegebenen Situation das Beste machen. Auch wenn das dazu führt, dass künftig Investitionen nicht mehr in Deutschland oder Europa, sondern dort getätigt werden, wo Märkte, Wachstum, niedrige Löhne und niedrige Energiepreise locken.

Die Position der Wirtschaft zur Klimapolitik der Bundesregierung zeigt wo’s lang geht. Jedenfalls kann und wird auch die Wirtschaft nicht gegen die öffentliche Hysterie in der Atompolitik angehen.

Im Gegenteil: Es sollte nicht überraschen, wenn sich die Wirtschaft vertreten durch den BDI bald an die Spitze der Anti-AKW Bewegung setzt, um in einem emotional aufgeheizten Klima öffentliche Akzeptanz zu gewinnen, ähnlich wie bei der Kehrtwende in der Klimapolitik im Februar 2007.

So muss die arme deutsche Volksseele in diesen Märztagen einiges erdulden, was sie spaltet und martert:

Nicht etwa das Leid und das Elend der Menschen in Japan, wo wahrscheinlich über 20.000 dem Erdbeben und dem Tsunami (und bislang keiner dem Atomtod in Fukushima) zum Opfer gefallen sind, sondern die Seelenqual durch das Leiden zu wissen, dass es auch in Deutschland AKWs gibt und der Atomtod quasi gleich um die Ecke lauert (zwar nur potentiell, aber das ist ja egal) und dass man jetzt! gleich! und sofort! alle AKWs abschalten muss.

Wo der Strom dann herkommt ist gleichgültig, man kann ja Kerzen anzünden abends, vor 200 Jahren haben die Menschen auch keinen Strom gehabt und mussten trotzdem leben. Und die Industrie brauchen wir sowieso nicht.

Die Politik ist verunsichert und versucht sich in einer Gratwanderung zwischen dem wütenden Anti-Atom-Mob, der jetzt in Baden-Württemberg geadelt wurde und der rationalen Erkenntnis, dass man die AKWs nicht von heute auf morgen abschalten kann, obwohl der Mob genau das fordert. Und da muss man halt genau aufpassen, was man sagt, sonst wird man vom Mob einkassiert. Das Bewusstsein ist gespalten: Einerseits weiß der Mob, dass die Politik nur in Symbolismen reagieren kann, andrerseits reizt es ihn nur noch mehr, wenn er merkt, dass es nur Symbolismen sind.

Die deutsche Volksseele ein Fall für die Couch?

Vielleicht sieht Climatetruth.com alles etwas zu krass und es ist nicht so cool, über die deutsche Seelenbefindlichkeit hemmungslos abzulästern.

Andrerseits: Wenn man das ganze Theater aus einer gewissen Distanz beobchtet und feststellen muss, dass es auf der ganzen Welt nur ein Land gibt, das so heftig auf das japanische Atomdesaster reagiert, nicht England, nicht Frankreich, nicht Amerika, nicht einmal Japan, sondern nur Deutschland, dann drängt sich förmlich der Eindruck auf, die deutsche Reaktion hierauf hat weniger mit der Atomenergie als geeignete Form der Energieversorgung als mit der deutschen Seelenverfassung zu tun. Die Leser werden um Nachsicht gebeten.

Ein chinesisches Sprichwort lautet: Mögest Du in interessanten Zeiten leben.

Und in interessanten Zeiten leben wir.