24. Februar 2022: Das Ende der Illusionen

6. März 2022

Der 24. Februar 2022 wird aus mehreren Gründen in die Geschichte eingehen. Er stellt das Ende von zwei großen Illusionen dar:

1. Die Illusion, dass es eine eigenständige europäische Sicherheitsarchitektur unter Einbindung Putins Russlands gibt oder geben kann

2. Die Illusion, dass Europa und Deutschland eine Energiepolitik verfolgen könne, die auf das klassische energiepolitische Zieldreieck Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit verzichtet und sie nur auf die Umweltverträglichkeit, genauer gesagt, auf das Ziel einer 100%igen CO2 Reduzierung, beschränkt.


Mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 und vor allem mit der Begründung des russischen Staatspräsidenten Vladimir Putins hierfür, ist klar geworden, dass es keine Gemeinsamkeiten zwischen den europäischen Staaten und Putins Russland mehr gibt, wenn es sie denn zuvor gegeben hätte.

Der Einmarsch war unprovoziert, ungerechtfertigt und reflektiert allenfalls paranoide Bedrohungsfantasien des russischen Staatspräsidenten.

Von der Ukraine, aber auch von den osteuropäischen Anrainerstaaten von Russland, ging niemals und zu keiner Zeit eine Bedrohung, besonders keine militärische Bedrohung, Russlands aus.

Es war vielmehr Russland gewesen, das die Ukraine seit dem Einmarsch in die Krim im Jahre 2014 und durch den Stellvertreterkrieg der russischen Separatisten im Donbas, von Russland verdeckt unterstützt, bedroht hat.

Die Versuche, den Konflikt mit den Kiev – Vereinbarungen zu lösen, sind gescheitert. Vor allem deswegen, weil die Ukraine nachvollziehbar nicht akzeptieren kann, dass die völkerrechtlich zu ihr gehörigen Gebiete der Krim und des Donbas aus ihr herausgelöst werden sollten. Die Ukraine ist seit 30 Jahren ein völkerrechtlich anerkannter souveräner Staat ungeachtet der wechselhaften Vorgeschichte, in der Teile der Ukraine nach Russland orientiert waren, andere Teile, die westlichen, weniger.

Die Grenze der Zugehörigkeit läuft etwa entlang der Religionsgemeinschaften der Russisch – Orthodoxen Kirche, der sich auch Putin zurechnet, und der katholischen in der westlichen Ukraine.

Richtig ist, dass der Donbas, und vor allem die Krim, eher Russisch – Orthodox und mithin, auch historisch betrachtet, eher nach Russland orientiert war. Vor allem die Krim war historisch gesehen immer russisch. Russen stellen in der Krim die Bevölkerungsmehrheit dar. Aus diesem Grunde war die Reaktion des Westens auf die Annexion der Krim durch Putin im Jahre 2014 auch eher verhalten, auch wenn dies Anlass für Sanktionen gegen Russland war.

Der Konflikt im Donbas hingegen schwelte in den letzten acht Jahren weiter, ohne dass sich eine Lösung abzeichnete.

Putin nahm den ungelösten Konflikt zum Anlass, die Rhetorik gegen und den Druck auf die Ukraine in den letzten eineinhalb Jahren beständig zu erhöhen, in den letzten Monaten durch den Aufmarsch seiner Streitmacht an der ukrainischen Grenze.

Der Westen rätselte über die Absichten Putins. Insgesamt sah man diesen militärischen Aufmarsch zwar als potenzielle Bedrohung an, glaubte aber überwiegend, dass dies lediglich als Drohkulisse gegenüber der Ukraine dienen würde, mit dem Ziel, politische Zugeständnisse von der Ukraine zu erzwingen.

Denkbar wäre eine politische Loslösung des Donbas von der Ukraine und das Ausrufen von politischer Eigenständigkeit in Form der “Volksrepubliken” Lugansk und Donetsk, wozu es in der Tat gekommen ist.

Ein militärisches Eingreifen Russlands zur Sicherung dieser “Volksrepubliken” war dann zwar vorstellbar.

Was tatsächlich am 24. Februar 2022 geschah, war jedoch etwas völlig anderes. Es war nämlich ein breit angelegter Großangriff auf die gesamte Ukraine mit dem Ziel, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu de – nazifizieren.

Impliziert wurde damit, dass die Ukraine eine militärische Gefahr für Russland darstellt und dass die Regierung der Ukraine sich in den Händen von Nazis befindet.

Beides sind Behauptungen aus dem Reich der Phantasie. Wie bereits oben gesagt, stellte bereits seit 2014 nicht die Ukraine eine Gefahr für Russland dar, sondern es war genau umgekehrt.

Die Behauptung, die Regierung der Ukraine befindet sich in den Händen von Nazis, ist ebenso aus der Luft gegriffen.

Richtig ist, dass im Jahre 2014 die pro – russische Regierung durch die Maidan Revolution zum Rücktritt gezwungen wurde und dass an den Massenprotesten gegen sie viele politische und gesellschaftliche Kräfte beteiligt waren, auch rechtsgerichtete.

Richtig ist ferner, dass die USA seinerzeit diplomatisch und politisch interveniert haben, um eine nicht – russlandfreundliche Regierung zu inthronisieren (s. z. B. Victoria “Fuck the EU” Nuland , Unterstaatssekretärin im US Außenministerium).

Die Regierungen seither sind wohl kaum rechtsgerichtet, sondern in freier demokratischer Wahl gewählt.

Vor allem dem jüdischen amtierenden Präsidenten der Ukraine, Selenskiy kann man kaum vorwerfen, er sei Nazi.

Putins Begründung für den Einmarsch in die Ukraine ist absurd. Sie ist ungefähr genauso gerechtfertigt, wie die Begründung Hitlers für den Einmarsch in das Sudetenland 1938, bzw. für den Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939.

Sondern die wahre Begründung sind reiner Imperialismus bzw. Faschismus, die auf Krieg ausgerichtet sind und den Frieden zwischen den Völkern gefährden.

Andrerseits sollte man die Sicherheitsinteressen Russlands ebenfalls anerkennen.

Im Rahmen der Verhandlungen um die deutsche Einheit im Jahre 1990 wurde Russland von den Westmächten zugesichert, dass die Nato sich nicht nach Osten ausweiten würde und deswegen die Sicherheitsinteressen Russlands gewahrt würden.

Schriftlich und vertraglich wurde das nie fixiert, aber es war ein stilles Einverständnis zwischen Russland, bzw. seinerzeit noch der Sowjetunion und den Westmächten.

In den 1990er Jahren, als Russland unter Boris Jelzin zunehmend ins Chaos verfiel, dehnte sich die Nato dann doch nach Osten aus – jedoch nicht auf Wunsch der Westmächte, sondern auf Betreiben der ehemaligen Warschauer Pakt Staaten und der Baltischen Republiken, die ihre Sicherheitsinteressen im westlichen Verteidigungsbündnis besser aufgehoben sahen, als in der Neutralität an Russlands Grenze, nicht ganz ungerechtfertigt, wie wir jetzt sehen.

Wenn Putin das als aggressives Auftreten der Nato und des Westens ansieht und auch die Befürchtung hatte, die Ukraine würde Teil der Nato werden, und dies als putative Bedrohung Russlands ansieht, verkennt er, dass niemand im Westen oder der Nato einen Angriffskrieg gegen Russland geplant hat, oder plant, und dass, wenn überhaupt eine Bedrohung besteht, diese von Russland selbst ausgeht, wie sich durch die Annexion der Krim und den Stellvertreterkrieg Russlands im Dombas seit 2014 gezeigt hat.

Gefährdet sind die Sicherheitsinteressen der Anrainerstaaten zu Russland, durch Russland, aber nicht die Sicherheitsinteressen Russlands durch diese Anrainerstaaten.

Im Gegenteil war es so, dass Europa bis zum 23. Februar 2022 der Illusion nachhing, dass mit Russland ein gutes, oder zumindest friedliches Nebeneinander, wenn nicht sogar freundschaftliches, Miteinander möglich ist, oder sogar besteht.

Diese Illusionen haben sich am 24. Februar 2022 in Luft aufgelöst.

Putin hat mit seinem Einmarsch in die Ukraine und der Begründung dafür dafür gesorgt, dass der Westen, vor allem die Europäer, aus ihrem Dornröschenschlaf brutal erweckt wurden, und begriffen, dass ihre Sicherheit nur im nordatlantischen Verteidigungsbündnis Nato zu garantieren ist, weswegen sie auf einen Schlag eng zusammenrückten, geeint in ihrer Ablehnung von Putins brutaler Aggression.

Eine weitere Illusion, die sich in Luft aufgelöst hat, ist die, dass Europa allein in der Lage sei, sich zu verteidigen bzw. eine eigenständige europäische Sicherheitsarchitektur, auch unter Einbeziehung Russlands, aufzubauen.

Europa ist vielmehr militärisch impotent, zersplittert zwischen den Mittelmächten England und Frankreich, die nicht immer an einem Strang ziehen, und dem Rest Europas, vor allem dem pazifistischen Deutschland, dessen Verteidigungsfähigkeit durch die Inkompetenz der letzten Verteidigungsminister, aber auch durch die pazifistische Grundstimmung im Land, stark reduziert wurde.

Europa ist ohne den militärischen Schutz der Atommacht USA wehr- und hilflos. Wir fallen jetzt wieder in die Zeit des Kalten Krieges zurück, in der die militärische Sicherheit Europas im Wesentlichen durch die militärische Übermacht der USA und vor allem durch deren Nuklearschild garantiert wurde.

Europa war schon nicht in der Lage den Jugoslawien Konflikt in den 1990er Jahren eigenständig zu lösen; es bedurfte des späten Eingreifens der USA im Jahre 1995, mit der Aushandlung des Abkommens von Dayton, den Krieg in Bosnien zu beenden.

Und 1999 griff die Nato in den Kosovo Krieg gegen Serbien ein, um diesen Konflikt mit militärischen Mitteln zu beenden.

Europa sieht sich also einer neuen – alten Realität gegenüber. Wir hätten Russland und Putin so gerne vertraut, aber wir können es nicht mehr.

Der zweite Teil der Illusionen, die sich am 24. Februar in Luft aufgelöst haben, sind die klima- und energiepolitischen.

Europa, und insbesondere Deutschland, hat sich seit einer Reihe von Jahren vom klassischen energiepolitischen Zieldreieck Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit verabschiedet.

Deutschlands (und Europas) Energiepolitik ist eindimensional geworden und nur auf die Umweltverträglichkeit, genauer gesagt, auf das Ziel der völligen Dekarbonisierung der Volkswirtschaft ausgerichtet. Die Aufgabe der Energiepolitik beschränkt sich auf die Umsetzung der klimapolitischen Zielvorgaben – ohne Berücksichtigung der Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit.

Dieses Ziel soll im Wesentlichen durch den massiven Ausbau von Wind- und Solarenergie bis 2045 erreicht werden.

Aus einer Reihe von Gründen sind Zweifel angebracht, ob dieses Ziel erreicht werden kann, s. z. B. hier, aber das soll jetzt nicht das Thema sein.

Die gegenwärtige Energieversorgung Deutschlands wird zu über 80% von fossilen Energieträgern bestritten. Die bestehende Infrastruktur ist demnach zum größten Teil auf fossile Energieträger ausgerichtet. Sie wurde in Jahrzehnten für Jahrzehnte aufgebaut. Sie kann nicht von heute auf morgen abgebaut werden, um für andere Energieträger Platz zu machen, ohne zu gigantischen Kapitalvernichtungen und anderen wirtschaftlichen Disruptionen zu führen.

Ein Teil der Stromversorgung Deutschlands, etwa 25%, wurde bis 2011 von Kernkraftwerken bereitgestellt. Nach dem Atomunfall von Fukushima im März 2011, beschloss die Bundesregierung, bis Ende 2022 aus der Kernenergie vollständig auszusteigen.

Drei der letzten sechs Kernkraftwerke wurden zum Jahresende 2021 abgeschaltet.

Die Stromversorgungslücke sollte durch den beschleunigten Ausbau Ernenerbarer Energien, besonders Wind und Sonne, abgedeckt werden.

Da Wind und Sonne aber nur sehr stark schwankende Energiequellen darstellen, und trotz hoher installierter Kapazitäten, nur zu 10% (Sonne) bzw. 20% (Wind) der installierten Leistung Strom produzieren, musste (und muss) die Stromerzeugungslücke in den Zeiten, in denen Wind und Sonne nichts oder sehr wenig produzieren, durch konventionelle Erzeugung in Braunkohle-, Steinkohle- oder Gaskraftwerken abgedeckt werden.

Dies hat dazu geführt, dass die CO2 Emissionen zwischen 2011 und 2019 nur relativ wenig gesunken sind; etwas mehr in 2020 wegen des Wirtschaftseinbruchs durch die Coronamassnahmen.

Deutschlands Energieversorgung ist sehr stark importabhängig. Fast das gesamte Öl, Erdgas und auch die Steinkohle (seit dem Steinkohle – Aus 2018) wird importiert.

Braunkohle ist der einzig verbleibende heimische fossile Energieträger, wenn man von der Biomasse absieht.

Aus Klimaschutzgründen soll die fossile Energienutzung bis 2045 komplett eingestellt werden; der Kohleeinsatz in der Stromversorgung soll bis 2038, nach Koalitionsvereinbarung der Ampel sogar, wenn möglich, bis 2030 beendet werden.

Als Ersatz für die wegfallende nukleare und kohle – basierte Erzeugung soll neben dem Ausbau Erneuerbarer der Erdgaseinsatz in der Stromerzeugung übergangsweise (für wie lange, weiß man nicht, vorgeblich bis ausreichende Stromspeicherkapazitäten existieren) ausgeweitet werden.

Erdgaskraftwerke emittieren pro erzeugter kWh Strom nur etwa halb soviel CO2 wie Kohlekraftwerke und gelten deswegen als klimafreundlicher als Kohlekraftwerke.

Der Plan war dabei, das hierfür erforderliche Erdgas aus Russland zu beziehen. Aus diesem Grunde, um den steigenden Erdgasbedarf Deutschlands für die Umsetzung und Absicherung der Energiewende zu decken, wurde die Nordstream 2 Pipeline gebaut.

Deutschland bezieht bereits russisches Erdgas über die Nordstream 1 Pipeline und über verschiedene andere Pipelines, die u. a. durch die Ukraine führen. An die Ukraine müssen dafür Transitgebühren entrichtet werden, die eine nicht unerhebliche Einnahmequelle für den ukrainischen Staatshaushalt darstellen.

Russisches Erdgas deckt heute ca. 50% des deutschen Erdgasbedarfs. Öl aus Russland etwa 34% und Steinkohle ca 45% des Bedarfs. Deutschland ist also sehr stark abhängig von Energieimporten aus Russland. Diese Mengen lasen sich kurzfristig nicht durch Lieferungen aus anderen Ländern ersetzen.

Am Bau der Nordstream 2 Pipeline, die Deutschland zur Umsetzung seiner klimapolitischen Ziele braucht, entzündete sich ein Streit zwischen Deutschland und den USA.

Die USA argumentieren seit einigen Jahren, dass es nicht sein könne, dass Deutschlands Energieversorgung, besonders mit Erdgas, von einem Land abhänge, das ein potentieller Gegner der Nato sei; Deutschland also seine Energieversorgungssicherheit in die Hände dieses Gegners lege und ihn finanziell noch stärke.

Dieses Argument ist zwar theoretisch zutreffend, aber bei genauerem Hinsehen stellen sich doch einige Fragen.

Deutschland kauft seit 1973, dem Höhepunkt des Kalten Krieges, Gas von Russland. Das hatte seinerzeit Willy Brandt in die Wege geleitet im Rahmen der heraufziehenden Entspannungpolitik.

Russland hat kein einziges mal einen Lieferstopp gegen Deutschland verhängt, auch nicht, als sich der Kalte Krieg nochmal verschärfte durch den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979.

Auch ist nicht bekannt, dass seinerzeit US Präsident Richard Nixon, der 1973 noch im Amt war, oder einer seiner Nachfolger Gerald Ford, Jimmy Carter oder Ronald Reagan Druck auf Deutschland ausgeübt hätte, wegen der Gefährdung der Versorgungssicherheit kein Gas mehr von Russland zu beziehen.

Deswegen wirkt der Widerstand der USA gegen die Nordstream 2 Pipeline aus den von ihnen vorgetragenen Gründen wenig überzeugend.

Man kann nicht ganz ausschließen, dass hierbei wirtschaftliche Interessen der USA im Vordergrund standen, die gerne ihr Erdgas an die Europäer verkaufen würden, da die europäischen Erdgaspreise auf den Terminmärkten wesentlich höher sind, als die amerikanischen. Auch nach Verflüssigung und Transport nach Europa in LNG Tankern winken noch schöne Gewinne; jedoch ist das LNG Gas deutlich teurer, als das in langlaufenden Verträgen kontrahierte russische Erdgas.

Zudem träfe das Argument, man würde das feindlich eingestellte Russland durch den Kauf von Öl und Erdgas fettmästen, nicht nur auf Russland zu, sondern auf viele andere Länder, von denen Deutschland fossile Energien bezieht, bzw. bezogen hat.

Fast alle OPEC Länder, von denen Deutschland Öl bezieht oder bezog, werden oder wurden von autoritären oder diktatorischen Regimen geführt, wie der Irak Saddam Husseins, Libyen Muhammar Ghaddafis oder von einem islamo – faschistischen Regime im Iran oder von islamo – autoritären Familien – Clans in Saudi – Arabien.

Die Öl – Importabhängigkeit Deutschlands und Europas war schon immer eine Abhängigkeit von autoritären, diktatorischen oder sogar faschistischen Regimen.

Wir haben aber beide Augen zugedrückt, weil unsere Volkswirtschaft vom Öl abhing und immer noch abhängt.

Durch den geplanten Atom- und Kohleausstieg und die Absicht, die stillgelegten Kapazitäten neben den Erneuerbaren durch russisches Erdgas zu ersetzen, gerät Deutschland jetzt, nach dem Einmarsch Putins in die Ukraine, dem verkündeten Aus der Nordstream 2 Pipeline und Sanktionen gegen Russland, die auch den übrigen Energiesektor, d. h. nicht nur Erdgas, sondern auch Steinkohle und Öl, betreffen könnten, in die Bredouille.

Entscheidend ist, wie es jetzt weitergeht. Wenn einige westliche Energieabnehmer dabei bleiben, russische Energielieferungen wegen des russischen Einmarschs in die Ukraine zu boykottieren, wie das z. B. bei Rohöl bereits geschehen ist, fehlen diese Mengen am Markt mit absehbaren Auswirkungen auf die Preise.

Diese sind seit Kriegsbeginn bereits drastisch gestiegen, Rohöl um mehr als $20 pro bbl auf über $110.

Die europäischen Erdgaspreise sind allein am Freitag, den 4. März 2022 um 20% auf über 190 gestiegen.

Der Preis für Kraftwerkskohle ist sogar von unter $250 vor Kriegsbeginn in der Ukraine auf über $400 pro t gestiegen.

Falls in einem nicht unmöglichen Szenario Putin sich dazu entschließt, die harten Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland damit zu beantworten, die Energielieferungen an den Westen, wenn auch nur kurzfristig und vorübergehend einzustellen, was ihm zwar auch weh tun würde, aber er kann es sich mit seiner gut gefüllten Kriegskasse in Höhe von geschätzten $640 Milliarden leisten, vorübergehend auf die Einnahmen aus dem Energiegeschäft zu verzichten, würde dies den Westen härter treffen, als Russland. Europa und Deutschland sind hochgradig von russischen Energielieferungen abhängig.

Denn der Ausfall russischer Energielieferungen kann kurzfristig nicht ausgeglichen werden, weil teilweise die Kapazitäten fehlen, teilweise andere Produzenten, wie die OPEC, unwillig sind, die Produktion auszuweiten, weil das die Preise wieder drücken würde, was auch für die amerikanischen Fracking Produzenten gilt, die in den Jahren niedriger Ölpreise zwischen 2014 und 2020 riesige Verluste eingefahren haben und jetzt froh sind über die hohen Preise.

Russland ist der drittgrößte Erdölproduzent der Welt, nach den USA und Saudi – Arabien. Falls die russische Erdölproduktion aus dem Markt genommen würde, rechnen Marktbeobachter mit einem raschen Anstieg der Ölpreise auf $150 – 200, von gegenwärtig $110 – 120.

Noch schlechter als bei Öl sieht es bei Erdgas aus. Die Pipelinekapazitäten sind begrenzt. Noch begrenzter sind die Kapazitäten von LNG Terminals in Europa, von denen es nur wenige gibt. Ein Zubau würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen, was das Problem des Hier und Jetzt nicht lösen wird.

Etwas besser sieht es bei Steinkohle aus. Kohle wird weltweit in verschiedenen, politisch sicheren Ländern gefördert, wie Australien, Indonesien, Südafrika oder in den USA. Aber auch hier würde es durch den Ausfall der russischen Produktion zu drastischen Preisanstiegen kommen, die sich bereits jetzt schon abzeichnen.

Die Braunkohlenförderung und –verstromung in Deutschland könnte wahrscheinlich am schnellsten einen Beitrag zur Sicherung der Stromerzeugung leisten, wenn Erdgaslieferungen aus Russland ausfallen. Das wäre auch klimapolitisch kein Problem, da die Braunkohleverstromung dem europäischen Emissionshandel unterliegt, über den die CO2 Emissionen kompensiert werden müssen, was offenbar Vielen nicht klar zu sein scheint, die gegen die Kohle Stimmung machen.

In Deutschland hat der Ukraine – Schock dazu geführt, dass man die Energieversorgungssicherheit wiederentdeckt hat.

Einerseits meint man, man müsse den Ausbau Erneuerbarer Energien beschleunigt vorantreiben, um von importierten fossilen Energien unabhängiger zu werden, andrerseits erkennt man wohl, dass es eine Reihe von Jahren dauern wird, um entsprechende Kapazitäten aufzubauen, wobei man immer noch das Problem der intermittierenden Erzeugung nicht gelöst hätte, das heißt man würde eine Versorgungsunsicherheit (mit fossiler Energie) durch eine andere (intermittierende, nicht gesicherte Erzeugung) ersetzen.

Deswegen wird laut darüber nachgedacht, die letzten drei KKWs, die Ende 2022 abgeschaltet werden sollten, länger laufen zu lassen und den Kohleausstieg doch nicht auf 2030 vorzuziehen, wie von den Grünen eigentlich beabsichtigt und Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen und wieder ans Netz gehen zu lassen.

Mit der Sicherung der Stromversorgung (Strom ist für etwa 20% des Endenergieverbrauchs verantwortlich) fangen die Probleme aber erst an. Denn sowohl die Raumwärmeerzeugung als auch die Kraftstoffversorgung in Deutschland hängen ebenfalls von russischen Öl- und Gaslieferungen ab.

Extreme Preissprünge sind bereits jetzt am Markt zu beobachten. Heizöl kostet gegenwärtig etwa 160 EUR pro einhundert Liter bei Lieferung von 3000 Litern in den nächsten Wochen, zur prompten Lieferung muss man mit etwa 20% höheren Preisen rechnen. Die Preise haben sich demnach seit Ende 2020 etwa vervierfacht.

Auch die sprunghaft gestiegenen Erdgaspreise werden sich irgendwann beim Endkunden bemerkbar machen, wie das vielfach bereits jetzt der Fall ist, denn die Erdgaspreise an den Terminmärkten sind bereits im Jahre 2021 drastisch gestiegen. Jetzt sind sie um einiges höher .

Natürlich sind im Zuge der Krise auch die Preise für Benzin und Diesel drastisch gestiegen. Gegenwärtig (6. März 2022) zahlt man sowohl für Diesel als auch Benzin um oder sogar über EUR 2,00 pro Liter.

Damit hat sich der Dieselpreis seit Ende 2020 etwa verdoppelt und der Benzinpreis ist um etwa 65% gestiegen.

Man darf gespannt sein auf die Inflationszahlen des Statistischen Bundesamtes für März 2022, nachdem die Zahlen für Januar 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat noch von einem Energiepreisanstieg bei Kraftstoffen von lediglich 25% ausgingen.

Schwer getroffen von der Energiekrise ist natürlich auch die deutsche Industrie, was an sich ein Extrakapitel an dieser Stelle erfordern würde. Versorgungsengpässe mit Energie werden zu Produktionseinschränkungen und höheren Preisen bei den Endprodukten führen, da die höheren Energiepreise auf den Produktpreis aufgeschlagen werden. Generell wird das Wachstum deutlich gebremst werden.

Mit anderen Worten: Die Ukrainekrise führt bereits jetzt zur schwersten Energiekrise seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, eingerechnet die Ölkrise 1973 – 1974 und 1979 - 1980. Diese Energiekrise wird sich noch erheblich verschärfen, wenn tatsächlich nennenswerte Mengen von russischer Energie aus dem Markt genommen werden.

Falls diese Situation eintritt und längere Zeit andauert, wird die Energiekrise zu einer Energiekatastrophe, die eine schwere Wirtschaftskrise nach sich ziehen wird.

Die Energiearmut, mit der man wegen der klimapolitisch geplanten Totaldekarbonisierung (Net – Zero bis 2045) rechnen muss, wird nicht irgendwann in den nächsten 10 – 15 Jahren kommen, sondern bereits hier und heute bzw. in naher Zukunft.

Das ist jedoch nicht alles: Sowohl Russland als auch die Ukraine sind große Getreideproduzenten und exportieren im erheblichen Umfang auf die Weltmärkte. Sollten diese Exporte kriegsbedingt wegfallen, muss man auch in diesem Bereich mit Versorgungsengpässen rechnen. Dies zeichnet sich bereits jetzt bei Weizen durch einen starken Preisanstieg von ca 50% in den letzten Wochen ab.

Erdgas ist der wichtigste Rohstoff für die Stickstoffdünger Herstellung. Bereits Ende letzten Jahres sahen sich einige Düngemittelhersteller angesichts der stark gestiegenen Erdgaspreis nicht mehr in der Lage, zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren. Jetzt liegen die Erdgaspreise deutlich höher.

Auch die russische Düngemittelproduktion dürfte durch die Sanktionen betroffen sein; diese Mengen werden ebenfalls fehlen.

Weniger Dünger bedeutet weniger Ertrag in der Agrarproduktion.

Aus den genannten Gründen werden auch die Nahrungsmittelpreise vor einer drastischen Verteuerungswelle stehen.

Die Auswirkungen des Ukraine Krieges (sie werden die Ukraine natürlich am allerhärtesten treffen) und der gegen Russland verhängten Sanktionen werden den Westen wesentlich härter treffen, als Russland selbst. Denn Russland ist energie- und rohstoffautark, kann sich selbst mit Agrarprodukten versorgen und hat eine gut gefüllte Kriegskasse (geschätzt ca. $640 Mrd.), die, sofern Russland doch weiter Energieprodukte an den Westen verkaufen kann, weiter wächst.

Putin weiß das natürlich und man kann davon ausgehen, dass er mit den Sanktionen des Westens gerechnet hat. Aber er weiß natürlich auch, dass er am längeren Hebel sitzt.