Meteorologische Ursachen von heißen Sommern in Mitteleuropa

11. Dezember 2019

Im Jahre 2019 hat Deutschland nach 2003 und 2018 den drittheißesten Sommer seit Beginn der Temperaturmessungen im Jahre 1761 erlebt.

Grundlage der nachfolgenden Betrachtungen ist die mitteleuropäische Messreihe von Prof. Franz Baur, die den Mittelwert der vier Stationen De Bilt (Niederlande), Potsdam, Basel (Schweiz) und Wien (Österreich) darstellt. Die Werte werden vom Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin fortlaufend aktualisiert.

Wir hatten bereits in der Vergangenheit mehrmals Betrachtungen über die Ursache warmer Sommer bzw. von Hitzewellen in Deutschland gemacht.

So hatten wir z. B. hier im September 2017 folgendes gesagt:

Zusammenfassend kann man sagen, dass die andauernde Warmphase der Sommermonate nach 2010 in Deutschland sehr wahrscheinlich drei Ursachen hat:

1. Fortdauer einer anomalen Süd- bis Südwestströmung über weiten Teilen Europas, mit der Warmluft aus dem Südwesten nach Nordosten transportiert wird

2. Bedingt dadurch Rückgang der Bewölkung und zunehmende Sonnenscheindauer, die die Erwärmung verstärkt

3. Starker Rückgang der Schwefelkonzentrationen über Europa in den Jahrzehnten vor 2010 führte zu einem starken Rückgang des Schwefelbedingten Abkühlungseffektes, was auch nach 2010 dazu beiträgt, die Warmphase aufrecht zu erhalten

Bezogen auf die extreme Hitze und Dürre im Sommerhalbjahr 2018 haben wir hier folgende Schlussfolgerungen gezogen:

Sicherlich ist die unmittelbare atmosphären-dynamische Ursache (der lang andauernden Hitze und Dürreperiode 2018) ein dauerhaftes Auftreten eines quasi ortsfesten atmosphärischen Wellenzuges einer 5er Welle entlang des 50. Breitenkreises, die einen Wellenberg über Europa (0 bis 30 Ost) aufwies, im Zusammenwirken mit dem Hochkeil (Wellenberg) einer 3er Welle am 60. bis 65. Breitenkreis zwischen 10 und 30 Ost, was zu einem Split - Flow und zu einer extremen Nordverlagerung der Niederschlag spendenden Tiefdruckgebiete geführt hat.

Der Hochkeil der 3er Welle bildete zudem mit dem Tief dieser Welle über Grönland und der kanadischen Arktis das ganze Sommerhalbjahr 2018 ein unzertrennbares Paar.

Durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich ist, das die 5er Welle Folge eines atmosphärischen Resonanzmodus darstellt, wie u. a. hier beschrieben. Unklar ist allerdings, wieso es sich diesmal um eine 5er und nicht um eine 6er bis 8er Welle handelt, mit der man eigentlich aufgrund der theoretischen Erwägungen rechnen müsste.

Schlussendlich ungeklärt bleibt aber weiterhin die Frage, inwiefern die extremen Zirkulationsanomalien über Europa, aber auch anderswo entlang des 50. Breitenkreises, wie z. B. über dem Nordwesten der USA und dem Westen Kanadas, aber auch über Ostsibirien (quasi staionäre 5er Welle), durch den Klimagasanstieg in der Atmosphäre erklärt werden können.

Die gegenwärtige Erkenntnislage, wie hier zitiert, ist eher uneindeutig; die Erkenntnisse sind zu widersprüchlich.

Nachfolgend sollen diese Betrachtungen etwas ausgeweitet und vertieft werden.Teilweise geht dieser Beitrag in sehr technische Details, die für Viele eher langweilig sein werden. Trotzdem ist das doch hin und wieder erforderlich, wenn man die Ursachen der heißen Sommer der letzten Jahre wirklich verstehen will.

Zunächst sollen an dieser Stelle die Temperaturtrends in Mitteleuropa für den Sommer und das Sommerhalbjahr gezeigt werden, um zu demonstrieren, wie extrem die Jahre 2018 und 2019 waren.

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Sommer (Abb. anklicken zum Vergrößern)

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Vegetationsperiode (Abb. anklicken zum Vergrößern)

1. Unmittelbare meteorologische Ursachen extremer Hitzewellen in Deutschland und Mitteleuropa, besonders der Hitzewellen im Juni und Juli 2019



Wir hatten bereits hier die unmittelbaren Ursachen der mitteleuropäischen Hitzewellen Ende Juni und Ende Juli 2019 dargestellt.

Als Ursache hatten wir ein nahezu ortsfestes Tiefdruckgebiet über dem Ostatlantik ausgemacht, an dessen Vorderseite Heißluft aus der Sahara auf dem kürzesten Landweg über die Iberische Halbinsel und Frankreich nach Nordosten und nach Deutschland transportiert wurde.

Dieser Heißluftvorstoß lässt sich in den Wetterkarten durch die 15 und 20° Grad Temperaturlinien (Isothermen)in 850 mb, etwa 1,5 km Höhe, nachverfolgen. Diese Höhe wird häufig zur Charakteresierung von Luftmassen gewählt, auch deswegen, weil die Unterschiede dieser Temperatur zwischen Tag und Nacht relativ klein sind.

Als generelle Faustregel gilt, dass die Höchsttemperaturen im Sommer am Boden etwa der Temperatur in 850 mb plus 15° entspricht, also bei 15° in 850 30° am Boden in 2 m Höhe, bei 20° in 850 35° am Boden.

Bei extremer Sonneneinstrahlung und ausgetrocknetem Erdboden können die Höchsttemperaturen etwa 1 – 2° höher liegen, als nach dieser Faustformel.

Eine Durchsicht historischer Wetterkarten zeigt (Link anklicken, Datum eingeben, dann 20 und 15° Grad Temperaturlinien nachverfolgen), dass extreme Hitzewellen (d. h. Temperaturmaxima über 35°C oder mehrere Tage andauernde Hitzewellen mit mehr als 30°C) in Nord- und Westdeutschland nahezu ausnahmslos auf diesem Wege entstehen.

Als Beispiele seien neben den Hitzewellen vom Juni und Juli 2019 die Hitzewellen von Ende Juli/Anfang August 2018, Anfang Juli 2015, Anfang August 2013, Juli 2006, Juni und August 2003, Juli/August 1995, Juli 1994 und Anfang August 1992 genannt.

Der entscheidende Faktor bei allen extremen Hitzewellen ist die Formierung eines Tiefs und dessen zeitweiliges Verharren über dem Ostatlantik, damit genügend Zeit bleibt (einige Tage) um den Heißluftstrom aus der Sahara in Gang zu setzen und aufrecht zu erhalten. Wichtig ist zu wissen, dass die Luft auf der Vorderseite eines Tiefs von Süden nach Norden strömt.

Die Ursache der Hitzewellen ist mithin ein Tiefdruckgebiet und nicht ein Hochdruckgebiet wie häufig in den Wetterberichten gesagt wird; wir kommen später darauf zurück.

Am Beispiel der Hitzewelle vom Juni 2019 wollen wir die zeitliche Entwicklung der synoptischen Situation und des Verlaufs des Heißluftvorstoßes aus der Sahara zeigen.

Wir beginnen mit dem 22. Juni 00 Uhr.

Die vorangegangen Heißluftvorstöße, die zwischen dem 10. und dem 15. Juni vor allem das östliche Mitteleuropa und zwischen dem 18. und 20. Juni das westliche Mitteleuropa beeinflusst haben, sind nach Osten abgedrängt worden.

Über den Azoren formiert sich ein neues Tief, das, wie das vorangegangene, von Labrador kommend auf einer relativ südlichen Bahn über den Atlantik gezogen ist.

Die 15° Isotherme auf der Tiefvorderseite liegt über Zentralspanien. Die 20° Linie, vom vorangegangen Tief bereits weit nach Norden gezogen, über Sardinien und Korsika(In dem Link die folgenden Tage anklicken, um den Weg der Heißluft nachzuverfolgen).

23. Juni: Tief zwischen den Azoren und Portugal, 15° Isotherme Mittelfrankreich, 20° von den Balearen nach Sardinien, 25° algerische Mittelmeerküste

24. Juni: Tief ortsfest zwischen Azoren und Portugal, 15° Isotherme über französisch – belgischer Grenze, 20° Südwestfrankreich, 25° Balearen nach Sizilien

25. Juni: Tief zwischen Azoren und Portugal, etwas nach Süden verlagert, 15° holländische Nordseeküste, 20° Südwestdeutschland, 25° nordwestliches Mittelmeer

26. Juni: Tief ortsfest zwischen Azoren und Portugal, 15° Nordspitze Jütland. 20° Deutschland entlang des Mains, 25° Südfrankreich

27. Juni: Tief ortsfest zwischen Azoren und Portugal, Gradient an Tiefvorderseite und somit Südströmung verstärkt, 15° Mittelengland, 20° französische Kanalküste, 25° Grossraum Paris

28. Juni: Tief ortsfest zwischen Azoren und Portugal, Gradient an Tiefvorderseite und somit Südströmung verstärkt, 15° westlich von Schottland, 20° Raum London, 25° Westspitze Bretagne

29. Juni: Tief nach Norden verlagert, südwestlich von Irland, 15° Faröer Inseln, 20° Edinburgh, 25° Normandie

30. Juni: Tief weiter nach Norden verlagert, nordwestlich von Irland, 15° Südnorwegen, 20° Kopenhagen, 25° belgisch - französische Grenze

1. Juli: Tief nach Nordosten verlagert in die Norwegische See, Heißluft nach Osten abgedrängt, 15° entlang einer Linie von Aachen nach Stettin, 20° entlang einer Linie von Königsberg nach Frankfurt/Main, 25°vereinzelt über dem spanischen Festland, ansonsten entlang der algerischen Mittelmeerküste.

Das Tief verharrte acht Tage lang (vom 22. Bis 29. Juni) mehr oder weniger ortsfest zwischen den Azoren und Portugal und hielt während dieser Zeit einen Heißluftstrom aus der Sahara bis nach Nordwesteuropa aufrecht. Man kann davon ausgehen, dass dies eine der extremsten Wetterlagen war, die im Sommer seit Beginn regelmäßiger Wetterbeobachtungen aufgetreten ist.

Ein wesentliches Element war dabei die sehr lange Andauer dieser Wetterlage, die es der Heißluft aus der Sahara ermöglicht hat, sehr weit nach Norden vorzudringen und längere Zeit dort zu verweilen, weil immer wieder Nachschub herangeführt wurde und weil die Heißluft vor Ort durch die hohe Sonneneinstrahlung und durch Absinken (adiabatische Erwärmung) in dem sich aufbauenden Hochdruckgebiet regeneriert wurde.

Zwischen dem 27. und dem 30. Juni überdeckte die 25° Isotherme in 850 mb ganz Frankreich. In einigen Regionen Südfrankreichs dürften die Temperaturen noch höher gelegen haben, was erklärt, weswegen in diesen Teilen Südfrankreichs Temperaturen von 43° und mehr erreicht wurden.

Eine sehr ähnliche Wetterlage hat sich Ende Juli 2019 erneut aufgebaut und hat in Teilen Westdeutschlands zu Höchsttemperaturen von mehr als 40° geführt, was neuen historischen Höchstwerten seit Beginn von Thermometermessungen entspricht.

Der geneigte Leser kann den Weg der Heißluft von der Sahara nach Norddeutschland hier detailliert nachverfolgen.

Das kann man natürlich ebenfalls für die oben aufgeführten Hitzewellen tun (in diesen Wetterkarten nur das Datum ändern); das Ergebnis ist in allen Fällen vergleichbar.

Aber weswegen war die Ursache der Hitzewelle ein Tiefdruckgebiet und nicht ein Hoch, wie man eigentlich vermuten könnte?

Dazu schauen wir uns erneut die Entwicklung der Hoch- und Tiefdruckgebiete vom 22. bis zum 30. Juni an, diesmal anhand des Bodenluftdrucks und des Geopotentials im 500 mb Niveau .

Hier sehen wir wieder, wie gezeigt, dass das Tief, vom Azorenraum kommend, auf seiner Vorderseite einen Warmluftstrom nach Norden in Gang setzte und dass sich mit der Verstärkung des Warmluftstroms im Laufe der nächsten Tage nach dem 22. Juni ein Hochdruckgebiet über Südskandinavien sowohl am Boden als auch in 500 mb (ca. 5,5 km Höhe) verstärkte.

Im Bereich dieses Hochdruckgebietes sank die Luft großräumig ab, die Wolken lösten sich auf, die Sonneneinstrahlung verstärkte sich und somit auch die Erwärmung am Boden. Die Hitze verstärkte sich somit weiter.

Wenn Warmluft nach Norden transportiert wird, wie es im Sommer 2019 der Fall war, muss sich nach den Gesetzen der theoretischen Meteorologie nördlich des Tiefs, das für den Warmlufttransport verantwortlich ist, hoher Luftdruck aufbauen. Der Grund ist die Erhaltung der absoluten Vorticity, ein Mass für den Verwirbelungszustand der Atmosphäre. Tiefs haben positive und Hochs negative Vorticity.

Das ist jetzt ein bisschen langweilig, aber die absolute Vorticity setzt sich aus der relativen Vorticity zusammen, die ein Tief oder ein Hoch hat, und der planetarischen Vorticity.

Tiefs haben eine positive relative Vorticity und Hochs eine negative.

Die planetarische Vorticity nimmt auf der Nordhalbkugel von Süd nach Nord zu. Bewegt sich ein Luftdruckgebilde von Nord nach Süd, verliert es planetarische Vorticity und muss relative Vorticity dazu gewinnen, um die absolute Vorticity konstant zu halten. Deswegen verwirbeln Tiefs stärker, wenn sie nach Süden wandern; sie werden intensiver, sprich zyklonaler.

Umgekehrt ist es, wenn ein Luftdruckgebilde nach Norden wandert. Es gewinnt planetarische Vorticity dazu und muss deswegen relative Vorticity verlieren, um die absolute Vorticity konstant zu halten. Deswegen bilden sich dann Hochdruckgebiete, die eine negative Vorticity haben, oder Tiefdruckgebiete schwächen sich ab, sprich die Strömung wird antizyklonaler.

Deswegen muss der nach Norden gerichtete Warmluftstrom nördlich und östlich eines Tiefs ein Hochdruckgebiet aufbauen.

Die Bildung eines Hochdruckgebietes ist die Folge des Warmuftstroms, nicht seine Ursache. Das Tief ist die Ursache des Warmluftstroms.

Ein weiterer meteorologischer Zusammenhang spricht dafür, dass Warmuftadvektion ein Hochdruckgebiet aufbaut.

Das ist die sogenannte Tendenzgleichung. Diese Gleichung stellt einen Zusammenhang zwischen der zeitlichen Änderung des Luftdruckfeldes in der Atmosphäre und zwei Parametern her. Der eine ist die Advektion von Vorticity und der andere der Entwicklungsterm. Der Entwicklungsterm besagt, dass der Luftdruck in der freien Atmosphäre steigt, wenn in den unteren Schichten Warmluft advehiert wird.

Aus diesem Grunde führt Warmluftadvektion zum Aufbau hohen Luftdrucks in der freien Troposphäre, in etwa 5 km Höhe.

Es kommt in diesen Situationen häufiger vor, dass sich aus diesen Hochdruckgebieten, die sich im Warmfluftstrom östlich und nördlich eines Tiefs sog. blockierende Hochdruckgebiete bilden, d. h. Hochdruckgebiete, die die vorherrschende westliche Luftströmung in unseren Breiten weit nach Norden umlenken und mithin die Zugbahn von Tiefdruckgebieten, die uns Regen bringen.

Die Auswirkung könnte dann länger andauernde Dürre und auch Hitze sein, wie 2018.

Warum dieser etwas längere und ausführlichere Diskurs in die Ursachenanalyse von extremen Hitzewellen? Weil es für das Verständnis des Nachfolgenden wichtig ist.

In der Fachliteratur gibt es eine rege Diskussion über die meteorologischen Ursachen von Hitzewellen in verschiedenen Regionen auf der Welt, z. B. in der Türkei (Türkes und Erlat, 2018), generell in Europa (Jezequel et al, 2018) auf dem Balkan (Piticar, 2017), in Polen (Owczarek, 2018; Tomczyk et al, 2019), auf der Iberischen Halbinsel (Mohammed et al, 2018), in der Schweiz (Scherrer und Bergert, 2019), um nur einige zu nennen.

Gao et al (2019) zeigen sogar einen Teleconnection - artigen Zusammenhang zwischen extremen Sommertemperaturen in verschiedenen Regionen der Nordhemisphäre (Abb. 4 in Gao et al, 2019 ) und der AMO (Atlantic Multidecadal Oscillation), einer natürlichen Temperaturschwankung des Nordatlantiks. Die positiven Anomalien dieses Teleconnection Musters weisen fünf Zentren auf, die über dem Westen Nordamerikas, über dem Atlantik, über Europa, Zentralasien und Ostsibirien liegen.

Die AMO ist Ende der 1990er Jahre in eine positive Phase eingetreten, die bis heute andauert. Interessant ist für uns, dass in Europa der stärkste Anstieg in der Zahl warmer Tage aufgetreten ist (s. Abb. 3 in Gao et al, 2019 ).

Gao et al (2019) zufolge lassen sich 57% der decadal und der multidecadal Varianz heißer Tage in den von ihnen beschriebenen Regionen durch Schwankungen in der AMO erklären. Wir werden in den nachfolgenden Abschnitten darauf zurück kommen.

Generell scheint unter den verschiedenen Autoren Einigkeit darin zu bestehen, dass Hitzewellen mit stark erhöhtem Luftdruck in der freien Troposphäre, wie z. B. im 500 mb Niveau, und erhöhter Sonneneinstrahlung einhergehen.

Weniger Wert scheint dabei auf die synoptische Situation gelegt worden zu sein, die ursächlich zu den Hitzewellen geführt hat, nämlich unter welcher Konstellation von Hoch- und Tiefdruckgebieten Hitzewellen entstanden sind, abgesehen davon, dass die heiße Luft am Boden mit erhöhtem Luftdruck (erhöhtes Geopotentialfeld) in der freien Troposphäre einhergeht.

2. Einordnung der meteorologischen Ursachen von mitteleuropäischen Hitzewellen in längerfristige Trends verschiedener Einflussparameter



Extremwetterlagen wie die vom Juni und Juli 2019, die in Teilen Europas zu extrem hohen Temperaturen geführt haben, haben wir bereits in der Vergangenheit als Ursache von Hitzewellen benannt, wie hier z. B. Juli 2015.

Generell konnten wir hier zeigen, dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur im Sommer, sondern im gesamten Sommerhalbjahr, ein Zirkulationstypus häufiger geworden ist, bei dem Warmluft aus Südwest bis Süd nach Mitteleuropa transportiert wird, statt kühler Luft vom Atlantik.

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(Abb. anklicken zum Vergrößern)

Dieser Zirkulationstypus geht mit häufigeren und stärkeren Tiefs auf dem Ostatlantik einher, etwa zwischen 10 – 30° W und 40 – 50° N. Die extremen Wetterlagen vom Juni und Juli 2019 passen demzufolge in einen allgemeinen Trend.

Dieser allgemeine Trend könnte auch teilweise die Zirkulationsmuster durch die positive Phase der AMO widerspiegeln (s. Abb 5 b in Gao et al, 2019 ). Die AMO ist Ende der 1990er Jahre in eine positive Phase eingetreten, in der sie sich auch heute noch befindet.

Vor allem könnte die sog. East Atlantik Oscillation (EAO) eine größere Rolle gespielt haben.

Denn die hier beschriebenen Zirkulationsmuster fügen sich recht genau in die positive Phase der East Atlantik Oscillation (EAO) ein (s. die Abb. hier ), ein natürliches Zirkulationsmuster, dass ebenfalls durch ein Tief auf dem Ostatlantik, ein verstärktes Subtropenhoch, eine verstärkte Südwestströmung und höherem Luftdruck über Europa charakterisiert ist.

Die EAO befindet sich seit Ende der 1990er Jahre überwiegend und seit Ende 2012 nahezu durchweg im positiven Bereich.

Der Zusammenhang der EAO mit der AMO ist augenfällig: Wenn sich die AMO in einer positiven Phase befindet, ist die EAO ebenfalls positiv. Während positiver Phasen der EAO und AMO sind die Sommer in Mitteleuropa warm.

Die von Tiefdruckgebieten über dem Ostatlantik nach Nordosten transportierte wärmere Luft gerät über Mitteleuropa aufgrund der meteorologischen Mechanismen, die wir zuvor beschrieben haben, häufig unter Hochdruckeinfluss, was zu Wolkenauflösung und zunehmender Sonnenscheindauer führt.

Die zunehmende Sonnenscheindauer im Sommer bei uns ist also zumindest teilweise ebenfalls eine Folge veränderter Zirkulationsbedingungen über Europa.

Sinkende Sulfataerosolbelastungen über Europa haben wahrscheinlich ebenfalls zu einer steigenden Sonnenscheindauer und zu einer höheren Transparenz der Atmosphäre geführt, wodurch sich die kurzwellige Strahlungseinwirkung weiter erhöht hat. Sulfate haben besonders im Sommer eine relative starke abkühlende Wirkung. Durch die europäischen Luftreinhaltemassnahmen ist die Sulfatkonzentration in den vergangenen drei Jahrzehnten europaweit drastisch gesunken.

Die Sonnenscheindauer ist im Sommer hochgradig positiv mit der Temperatur, besonders der Höchsttemperatur, korreliert.

So überrascht es wenig, dass die extrem heißen Sommermonate der letzten Jahrzehnte, wie z. B. der Juni 2019, extrem sonnenscheinreich waren.

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Allgemein hat die Sonenscheindauer in Deutschland in den letzten Jahrzehnten in den Sommermonaten zwischen 10 und 20% zugenommen.

t (Abb. anklicken zum Vergrößern)


Ein Effekt, der auch in anderen europäischen Ländern beobachtet und auch dort für die Erwärmung der Sommer mitverantwortlich gemacht wurde (s. die Literaturzitate oben).

3. Direkter Einfluss von Treibhausgasen auf Hitzewellen und die sommerliche Erwärmung in Mitteleuropa



Im Vorangegangenen haben wir die meteorologichen Parameter betrachtet, die unmittelbar ursächlich sowohl für das Auftreten extremer Hitzewellen als auch der generellen Erwärmung der Sommerhalbjahre in Mitteleuropa sind.

Wir haben zunächst zwei massgebliche und einen zusätzlichen Faktor für warme und heiße Sommerwitterung identifiziert:

A: Veränderte atmosphärische Zirtkulationsverhältnisse über dem Ostatlantik und Europa

B: Zunehmende Sonnenscheindauer

C: Abnehmende Sulfatkonzentrationen über Europa


Aber wie hoch ist der direkte Beitrag von Treibhausgasen auf die Erwärmung der Sommerhalbjahre und auf Hitzewellen?

Wir hatten dazu bereits in der Vergangenheit eine statistische Analyse durchgeführt, bei der wir mit einer mutiplen Regressionsanalyse und der Verwendung eines forward stepwise Verfahrens den Beitrag einzelner Parameter bei der Erhöhung der erklärten Varianz R2 von Temperaturschwankungen analysiert haben.

Dabei hat sich herausgestellt, dass die Zirkulationsparameter den weitaus größten Teil der Varianz der Monatsmitteltemperaturen erklären konnten. Der Treibhausgasanstieg hat nur im April und im August zu einer deutlicheren Erhöhung der erklärten Varianz (s. Tabelle 5 hier ) beigetragen.

Das verwundert wenig, wenn man, wie bereits hier, folgende Sachverhalte berücksichtigt.

Die direkte – modellierte – Wirkung von Treibhausgasen ist in den verhangenen Jahrzehnten von etwa 1 Wm-2 auf 3 Wm-2, also um etwa 2 Wm-2 gestiegen.

Die Reduzierung der Sulfatkonzentrationen über Europa soll Abschätzungen zufolge die Rückstreuung kurzwelligen Sonnenlichts um etwa 3 Wm-2 pro Jahrzehnt verringert, also die Einstrahlung erhöht haben. Dies würde in drei Jahrzehnten zu einer Strahlungszunahme von ca 10 Wm-2 geführt haben, etwa dem Fünffachen der Zunahme des Treibhauseffektes.

Der Effekt der abnehmenden Sulfatkonzentration überstieg in Europa also den erwärmenden Effekt der zunehmenden Treibhausgaskonzentration um ein Vielfaches.

Klimamodellrechnungen von Dong et al, 2017 sind zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt (ihre Abb. 6 g und j).

Der erwärmende Effekt in Wm-2 durch steigende Sonneneinstrahlung und geänderte Zirkulationsverhältnisse ist im Vergleich dazu nochmal um einiges höher, was erklärt, weswegen diese Faktoren die ausschlaggebenden in der oben erwähnten statistischen Analyse sind.

Als Fazit kann man festhalten, dass die direkte Einwirkung von Treibhausgasen keinen massgeblichen oder ausschlaggebenden Einfluss auf die sommerliche Erwärmung und das Auftreten extremer Hitzewellen hatte.

4. Indirekter Einfluss von Treibhausgasen auf Hitzewellen und die sommerliche Erwärmung in Mitteleuropa



In den vorangegangenen Abschnitten haben wir gezeigt, dass die unmittelbare meteorologische Ursache von Hitzewellen und der sommerlichen Erwärmung in Mitteleuropa veränderte Zirkulationsmuster, steigende Sonnenscheindauer und abnehmende Sulfatkonzentration sind, während der direkte Strahlungseffekt von Treibhausgasen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich kleiner war, als die übrigen Faktoren.

Vor allem das Zirkulationsmuster eines teilweise semi – permanenten Tiefs mit starker Wiederholungsneigung über dem Ostatlantik, auf dessen Vorderseite Warm- oder sogar Heißluft nach Mitteleuropa transportiert wird, hatten wir als Hauptursache sowohl für Hitzewellen als auch für die generelle Erwärmung der Sommerhalbjahre identifiziert.

Gelegentlich hatten wir diesen Wetterlagentyp als TR20W Wetterlage bezeichnet, nämlich einen Tiefdrucktrog auf der Postion 20°W und 50°N, oder genereller, zwischen 40 und 50°N.

Diese Zirkulationsmuster fügen sich auch in die positive Phase der AMO (Gao et al, 2019) sowie in die der positiven Phase der East Atlantic Oscillation EAO ein, die seit Ende der 1990er Jahre überwiegend positiv sind, s. oben unter 2.

Diese Beobachtung führt zur Frage, ob die gestiegene Treibhausgaskonzentration zumindest teilweise ursächlich für die geänderten Zirkulationsmuster ist.

Dies war in den vergangenen Jahren intensiver Forschungsgegenstand, den wir bereits hier etwas detaillierter dargelegt haben.

Den gegenwärtigen Erkenntnisstand kann man wie folgt zusammenfassen:

Eine Theorie besagt, das sich aufgrund steigender Treibhausgaskonzentrationen die hohen Breiten stärker erwärmen sollen, als die mittleren und unteren. Dies wird auch als Arctic Amplification, AA bezeichnet.

Dies hat man in den Sommermonaten bereits teilweise beobachtet, allerdings nur in der Nordhemisphäre.
Dadurch nimmt der Temperaturgegensatz zwischen dem Äquator und den Polen ab, weswegen auch die Stärke des Starkwindbandes in der oberen Troposphäre, zwischen 5 und 10 km Höhe, der sog. Jetstream in den mittleren Breiten abnehmen sollte, was nach den grundlegenden Gesetzen der Meteorologie logisch erscheint (s. Definition des thermischen Windes ).

Dies wurde auch für einige Zeitabschnitte und Regionen im Sommer beobachtet (z. B. Coumou et al, 2014 und Coumou et al, 2018 ).

Wegen der abnehmenden Stärke des Strahlstroms könnten auch sog. Blockierungswetterlagen häufiger auftreten, die im Sommer mit Hitze und Dürre einhergehen.

Die Beobachtungsdaten dahingehend sind aber widersprüchlich; während einige Autoren eine Zunahme von Blocking Ereignissen gefunden haben, haben andere keine Zunahme feststellen können.

Auch Klimamodellrechnungen kommen nicht zu einem klaren Ergebnis in der Weise, dass Blockingereignisse im Sommer durch den Treibhausgasanstieg zunehmen sollten (s. die Diskussion hier ).

Auch konnten wir keine Verlangsamung der Westwindströmung in 500 mb im Sommer über Europa zwischen 1970 und 2019 auf Grundlage der 500 mb Daten des Meteorologischen Instituts der Freien Universität Berlin feststellen, weder über West- noch über Osteuropa.

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Im Gegenteil hat die Stärke der Westwindströmung sogar leicht zugenommen, weil die Erwärmung über dem Mittelmeerraum bis zu einer geographischen Breite von 45°N in den letzten Jahrzehnten größer war, als über Nordeuropa. Ursache für die Windzunahme ist die Thermische Windgleichung.

t (Abb. anklicken zum Vergrößern)

Die extremen Bockingereigniss des Jahres 2018 haben zu keiner Trendwende geführt.

Generell scheint es nicht möglich zu sein, allgemein gültige Aussagen darüber zu machen, ob sich die Westwindströmung überall in den mittleren Breiten abgeschwächt hat, und wenn ja, im Bereich welcher Breitenkreise und in welchen Regionen.

Über dem Atlantik soll sich der Strahlstrom als Folge des Treibhausgasanstieges Modellrechnungen zufolge bis zum Ende dieses Jahrhunderts etwas, nämlich ca. 2° nach Norden verlagern, was in den betroffenen Regionen zu einer Niederschlagsabnahme führen würde, denn die Niederschlagsaktivität in den mittleren Breiten ist an die Position des Strahlstromes geknüpft, der praktisch eine Leitplankenfunktion für die wandernden Tiefdruckgebiete wahrnimmt.

Beobachtungen zufolge (s. z. B. Robson et al, 2018 ) hat sich der Jetstream über dem Atlantik (in 850 mb, möglicherweise kein repräsentatives Niveau für den Strahlstrom) in den letzten 20 Jahren etwas abgeschwächt, aber deutlich nach Süden verlagert (s. Abb2 d und f in Robson et al, 2018), ein Ergebnis, was man auf der Grundlage von Klimamodellrechnungen nicht erwarten würde.

Im Vergleich dazu zeigen die 500 mb Daten des Meteorologischen Instituts der FU Berlin folgendes:

t (Abb. anklicken zum Vergrößern)

Zwischen 35° und 50°N hat der Strahlstrom im Sommer zwischen 1970 und 2019 über dem mittleren und östlichen Atlantik zugenommen, d. h. der Gradient in 500 mb hat zugenommen.

t (Abb. anklicken zum Vergrößern)

Zwischen 50° und 65° N über dem mittleren Atlantik hat der 500 mb Gradient abgenommen, dh die Stärke des Starkwindbandes hat dort abgenommen, ein Ergebnis, was im Einklang mit Coumou et al, 2014 stehen würde.


Im Detail zeigt sich dann, dass die Ursache für den stärkeren Gradienten zwischen den Subtropen (35° N) und den mittleren Breiten(50°N) über dem Atlantik ein kräftigeres Subtropenhoch, dh, steigendes Geopotential in 500 mb, ist.

Die Ursache für den abnehmenden Gradienten zwischen den mittleren und hohen Breiten über dem mittleren Atlantik ist ein steigendes Geopotentialfeld über den hohen Breiten (65°N).

Beides würde zur Hypothese passen, dass die Intensität und Zuggeschwindigkeit der Tiefs zwischen 50°N und 65°N über dem Atlantik sich abgeschwächt haben, aber nicht dazu, dass der Strahlstrom sich generell abgeschwächt hat in den mittleren Breiten, denn er ist zwischen dem Subtropenhoch und den mittleren Breiten stärker geworden und hat sich nach Süden verlagert.

Die hier beschriebenen 500 mb Trends für den subtropischen Atlantik, sowie für die mittleren und die hohen Breiten stehen generell im Einklang mit den Bodendrucktrends für 2006 – 2015 in Robson et al, 2018 (Abb. 3d), die eine Druckzunahme in den Subtropen, eine Druckabnahme in den mittleren Breiten und eine Druckzunahme in den hohen Breiten ermittelt haben.
Sie passen ebenfalls zu den Zirkulationsmustern der seit Ende der 1990er Jahre überwiegend positiven EAO.

Dies würde auch zur Beobachtung passen, dass die Tiefdruckgebiete, die Heißluft aus der Sahara bis nach Mitteleuropa transportieren auf einer ungewöhnlich weit im Süden verlaufenden Bahn über den Atlantik nach Osten ziehen.

Eine weitere mögliche Erklärung für das Auftreten quasistationärer Tiefdruckgebiete über dem Ostatlantik, neben der positiven EAO Phase, bietet die Theorie der quasistationären Wellen eines Resonanzmodus in den mittleren Breiten (s. z. B. hier und hier ).

Die Theorie lautet, dass es in den subtropischen und mittleren Breiten unter bestimmten Bedingungen zu einem Resonanzmodus der planetarischen Wellen der Wellenzahl 6 – 8 kommen kann, bei dem diese Wellen sich nicht mit der vorherrschenden Westströmung nach Osten bewegen, sondern über längere Zeit ortsfest verharren und in den jeweiligen Regionen zu Witterungsextremen führen können.

Im Bereich der Wellenberge dieser Wellen kann im Sommer dann Hitze und Dürre herrschen, im Bereich der Wellentäler kühles und nasses Wetter.

Die hauptsächlichen Resonanzmoden treten im Bereich der Wellen 6 und 7 auf (z. B. Kornhuber et al. 2017). Eine Wellenzahl 6 bedeutet, dass es entlang eines Breitenkreises 6 Wellen gibt, also 6 Wellenberge und 6 Wellentäler. Da ein Breitenkreis 360 Grad umspannt, betrüge der Abstand dieser Wellen 360°/6= 60°, bei einer Wellenzahl 7 360°/7= etwa 51°.

Kornhuber et al, 2017 und andere zeigen, dass Witterungsextreme, wie die europäische Hitzeperiode 2003, die russische Hitzewelle 2010 mit dem Auftreten einer Wellenzahl 6 oder 7 im Resonanzmodus einher gehen. Allgemein hat das Auftreten eines Resonanzmodus in den letzten Jahrzehnten seit 1980 zugenommen, die größte Zahl dieser Ereignisse ist nach dem Jahr 2000 aufgetreten - parallel zur positiven Phase der EAO.

Auch wir hatten bei der Analyse der Extremwitterung 2018 festgestellt, dass die Hitze und Dürre über Mitteleuropa an den Quasi – Resonanzmodus oder zumindest an das immer wieder erneute Auftreten einer 5er Welle, teilweise einer 6er Welle, entlang des 50° N Breitenkreises geknüpft war.

Unserer Auffassung nach war die 5er Welle die entscheidende und nicht die 6er oder 7er Welle. Denn der Wellenberg dieser 5er Welle entlang des Breitenkreises 50° N trat praktisch in allen Monaten des Sommerhalbjahres 2018 in der gesamten Nordhemisphäre in Erscheinung: 120° W, 50° W, 20° O, 90° O, 160° O.

Die Maxima einer 5er Welle wurden auch von Gao et al, 2019 als wesentliche Faktoren identifiziert, die das Teleconnection Muster der Maxima heisser Sommerwitterung mit der positiven Phase der AMO verknüpfen.

Das heißt, die positive Phase der AMO hat wahrscheinlich einen Beitrag zum verstärkten Auftreten einer 5er Welle in den vergangenen Jahrzehnten geleistet und somit auch zur Erwärmung der Sommerhalbjahre in Europa. Denn die 5er Welle weist einen Trog über dem Ostatlantik und einen Hochkeil über Europa auf (s. Abb. 5 b in Gao et al, 2019 ), genau das Muster was uns warme, teilweise heiße Witterung beschert.

Darüberhinaus spiegelt das Wellenmuster: Tief über dem Ostatlantik - Hoch über Europa die positive Phase der EAO wieder.

Überlagert wurde diese Wellenstruktur in etwa 70° N von einer 3er Welle, deren Wellental über Grönland und der kanadischen Arktis zu finden war, und ihr Wellenberg über der europäischen und westsibirischen Arktis (siehe hier).

Einiges spricht dafür, dass in den letzten drei Jahrzehnten, solange wie Beobachtungen über quasi – stationäre Wellen vorliegen, Klimaextreme in den mittleren Breiten, wie Hitze und Dürre, mit quasistionären Resonanzwellen einhergingenen, wie von Kornhuber et al, 2017 , von Petoukhov et al, 2013 und von Coumou et al, 2018 beschrieben.

Diese quasi - stationären Wellen, besonders ihre Positionen in den mittleren Breiten, scheinen aber in die Anomaliemuster, die mit den positiven Phasen der AMO und der EAO einhergehen, eingebettet zu sein. Ein Hinweis dafür ist auch, dass quasi - stationäre Wellen verstärkt nach dem Jahr 2000 aufgetreten sind, als die EAO sich nahezu durchweg, besonders nach 2012, in einer positiven Phase befand.

Unmittelbar daran schliesst sich die Frage an, inwieweit dies mit dem Anstieg der Treibhausgase zu tun hat.

Kornhuber et al, 2017, aber auch Petoukhov et al 2013, weichen dieser Frage aus und analysieren nur die grundsätzlichen Bedingungen unter denen eine Resonanz auftreten könnte und was die regionalen Witterungsauswirkungen sein könnten.

In einer neueren Arbeit gehen Yuan et al, 2018 dieser Frage nach und analysieren den Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Quasi – Resonanzmodus (verstärkten Amplituden von 6er – 8er Wellen in den Subtropen) und steigendem Treibhausgasgehalt in der Atmosphäre.

Ihren Rechnungen mit den CMIP5 Klimamodellen zufolge zeigen etwa Zweidrittel der Modelle eine Zunahme der Amplituden, wobei die Streuung allerdings sehr hoch ist (Abb. 2 hier ) und eher keine belastbaren Aussagen über den Zusammenhang von steigenden Treibhausgaskonzentrationen und zunehmenden Amplituden quasi – stationärer Wellen in den Subtropen zulässt.

Allerdings sollte ein derartiger Zusammenhang genauer erforscht werden, wobei insbesondere die Wechselwirkungen mit den verschiednen Phasen der AMO und der EAO interessant wären, denn es gibt ja deutliche Hinweise darauf, dass die quasi - resonanten stationären Wellen in die 500 mb Anomaliemuster eingebettet sind, die mit der positiven Phase der AMO und der EAO einhergehen.

Ein Zusammenhang mit dem Treibhausgasanstieg könnte also bestehen, ist aber aufgrund der gegenwärtigen Erkenntnislage eher vage, eine Einschätzung, die schlussendlich auch von Coumou et al, 2018 geteilt wird.

Die nächste Frage ist, wieso findet eine Quasiresonanz der stehenden Wellen im Sommer gerade auf den Positionen statt, die dem Ostatlantik ein Wellental und Mitteleuropa einen Wellenberg, also Hitze und Dürre, bescheren.

Das heißt also, es geht nicht um die Frage, ob eine Amplitudenverstärkung und Verlangsamung planetarischer Wellen stattfindet, sondern darum, wieso es geografisch bevorzugte Regionen für diese Wellenpositionen und die Amplitudenverstärkung gibt, besonders für das gehäufte Auftreten von stationären Tiefdruckgebieten über dem Ostatlantik, die durch einen Warmluft- bzw. Heißluftstrom an ihrer Ostseite warme, bzw. heiße Witterung über großen Teilen Europas verursachen.

Kornhuber et al, 2017 weisen darauf hin, das ihre Analyse der quasi – resonanten stehenden Wellen ein Diagnose Tool darstellt, das die gemittelte Situation in den mittleren Breiten beschreibt und keine Aussagen über die Position der Wellentäler und Wellenberge zulässt, ebensowenig wie Vorhersagen, wann und wo eine Wellenresonanz auftreten könnte. Zudem können Wellen mit verstärkter Amplitude natürlich auch dann auftreten, wenn keine Wellenresonanz wie bei Kornhuber et al, 2017 beschrieben vorliegt.

Einen Teil der Antwort auf die eingangs gestellte Frage haben wir bereits gegeben. Denn in der hier zitierten Arbeit von Gao et al, 2019 konnte gezeigt werden, dass es in einer positiven AMO Phase, die seit Ende der 1990er Jahre beobachtet wird, im Sommer präferierte Positionen einer 5er Welle gibt, in deren Wellenbergen anomale Hitze auftrat, so wie z. B. in Europa. Ein Wellental tritt über dem Ostatlantik auf, d. h. ein verstärktes Tief.

Ferner fällt die hier beschriebene Zirkulationsanomalie, die in Mitteleuropa zu Wärme und Hitzeanomalien führt, nämlich Tief über dem Ostatlantik und Hoch über Europa mit der positiven Phase der EAO zusmmen, die ebenfalls verstärkt seit Ende der 1990er Jahre auftritt.

Wie könnten in diesem Umfeld stationäre Wellen getriggert werden?

Aus klimawissenschaftlichen Arbeiten über sog. Teleconnections ist bekannt, dass externe Forcing – Mechanismen zur Erzeugung von quasi – stationären Wellenzügen mit alternierenden Wellenbergen und Wellentälern führen können (z. B. Hoskins und Karoly, 1981; Wallace und Gutzler, 1981), die ausgehend von der Forcing Region stromabwärts zu bestimmten Witterungsanomalien führen können, die durch Wellenberge und Wellentäler in der Strömung ausgelöst werden.

Eine der bekannteren Teleconnections ist das sog. Pacific – North American Pattern. Dieses Muster tritt oft während El Nino Ereignissen auf.

Während El Nino Ereignissen ist die Atmosphäre in den tropischen Regionen über dem östlichen und mittleren Pacific erheblich wärmer als normalerweise, was dazu führt, dass der atmosphärische Temperaturgradient zwischen den Tropen und den Subtropen zunimmt und der subtropische Strahlstrom stärker wird.

Das führt wiederum dazu, dass die Tiefdruckentwicklung nördlich des Subtropenjets über dem Pazifik stärker wird, wodurch an der Ostseite dieser Tiefs entlang der amerikanischen Westküste verstärkt Warmluft nach Norden geführt wird, weswegen es dann in Alaska im Winter ungewöhnlich mild ist. In Kalifornien kann dann Hitze und Dürre herrschen.

Andrerseits kann die Verstärkung des subtropischen Strahlstroms auch dazu führen, besonders über dem östlichen Pazifik, dass dort in den subtropischen Regionen eine verstärkte Tiefdrucktätigkeit einsetzt, bei der es in Südkalifornien bis nach Texas und Florida eher kühl und regnerisch ist.

In Südkalifornien spricht man gelegentlich vom sog. “Pineapple Express”, weil die Tiefs auf einer sehr weit südlichen Bahn von Hawaií kommend, einem größeren Anbaugebiet für Ananas (Pineapples), nach Südkalifornien und weiter nach Osten ziehen.

In der lokalen Parlance spricht man manchmal auch von I – 10 Storms, weil diese Tiefs entlang der Autobahn Interstate I – 10 zwischen dem 30° und 35° Breitenkreis von Los Angeles kommend nach Phoenix, El Paso, San Antonio, New Orleans und Jacksonville in Florida ziehen, dem Endpunkt der Autobahn I – 10 .

Entscheidend ist, genau wo die Forcing Region auftritt und zu welchen Wechselwirkungen es mit den wandernden Wellen in den mittleren Breiten kommt. Der verstärkte Strahlstrom würde in diesen Situationen als Waveguide, also wie eine Art Leitplanke für die Wellenzüge dienen, die sich an seiner Nordseite gebildet haben.

Wir hatten oben dargelegt, dass sich im Sommer in den vergangenen Jahrzehnten das subtropische Hoch über dem Atlantik in etwa 35° und der Gradient in 500 mb zwischen 35°N und 50° N, also zwischen den Subtropen und den mitteren Breiten, verstärkt haben. Demzufolge würde über dem Atlantik eine vergleichbare Situation entstehen, wie über dem Pazifik während El Nino Ereignissen.

Man könnte deswegen die Hypothese vertreten, dass der verstärkte und aus den mittleren Breiten nach Süden verschobene Strahlstrom an der Nordflanke des Azorenhochs im Sommer etwa entlang des 40 – 45° Breitenkreises in den letzten Jahrzehnten genau die von Hoskins und Karoly, 1981 beschriebenen stationären Wavetrains (Wellenzüge) ausgelöst hat, die nach Kornhuber et al 2017 und Petoukhov et al, 2013 zu quasi – resonanten stationären Wellen in den mittleren Breiten geführt und dort Witterungsextreme wie 2003, 2010 aber auch 2019 ausgelöst haben.

Diese Hypothese würde in Zusammenschau mit den von GAO et al, 2019; (Abb 5b) gezeigten Zusammenhänge mit der positiven AMO aber auch mit der positiven EAO Phase seit Ende der 1990er Jahre erklären, wieso ein Wellental (Tief) gerade über dem Ostatlantik auftritt und ein korrespodierender Wellenberg (Hoch, warm und trocken) über Mitteleuropa.

Offen bleibt bei diesem Erklärungsversuch aber die Wechselwirkung dieser Wellen mit den planetarischen Wellen in den mittleren und hohen Breiten.

Denn sowohl die ursprüngliche Ableitung quasi – resonanter stationärer Wellen von Petoukhov et al, 2013 als auch die Analyse von Yuan et al, 2018 bezieht sich auf die Subtropen, bzw. auf subtropische Randgebiete, etwa von 30 bis 40° Nord.

In den mittleren und höheren Breiten sind die Anomaliefelder in 500 mb und mithin die Wellenstrukturen erheblich stärker ausgeprägt als in den Subtropen und reflektieren dort auch extremere Witterungsanomalien.

Wir hatten bereits hier auf die Rolle völlig anderer Wellenstrukturen zwischen 60 und 75° N (3er Welle) als einen massgeblichen Faktor für die Erklärung des Extremsommers 2018 hingewiesen.

Diese 3er Welle und die stark negativen 500 mb Abweichungen über den polaren Regionen sind wahrscheinlich Teil einer stark positiven Phase des sog. NAM, oder Northern Annular Mode, der durch negative 500 mb Abweichngen in den Polarregionen nördlich von etwa 70 °N und positive Abweichungen entlang des 50° Breitenkreises charakterisiert wird.

In den mittleren Breiten herrschten 2018 z. B. hier völlig andere Zirkulationsmuster vor, als 2019 z. B. hier.

2018 war durch einen Ring positiver Luftdruckabweichungen entlang des 50° Breitenkreises charakterisiert, in den wechselweise eine 5er, 6er oder 7er Welle eingebettet war, mit einem Schwerpunkt auf einer 5er Welle. Der Geopotentialfeld Gradient und somit der Jetstream zwischen 35° und 50° N waren über dem Atlantik abgeschwächt, aber nicht verstärkt, wie in 2019.

Es gibt offenkundig mehrere Arten von Zirkulationsanomalien, die in Mitteleuropa zu Hitze- und Dürre – Episoden führen können, obwohl das Auftreten extremer Hitzewellen eindeutig an die Bedingen geknüpft ist, die wir eingangs unter 1. detaillierter beschrieben haben.

Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen:

1. Das Auftreten extremer Hitzewellen in Mitteleuropa ist an das Auftreten von Tiefdruckgebieten über dem Ostatlantik geknüpft, die dort quasi – stationär mehrere Tage verharren und an ihrer Vorderseite einen Heißluftstrom aus der Sahara nach West- und Mitteleuropa in Gang setzen

2. Die Heißluftströmung führt über Mitteleuropa zum Aufbau hohen Luftdruckes (Tendenzgleichung und Erhalt der absoluten Vorticity); hierdurch kommt es zu Wolkenauflösung und erhöhter Sonneneinstrahlung, wodurch die Hitze verstärkt und aufrecht erhalten wird

3. In den vergangenen Jahrzehnten sind verstärkt Wetterlagen aufgetreten, die eine Warmluft- bzw. Heißluftzufuhr nach Mitteleuropa verursacht haben (Tiefs über dem Ostatlantik)

4. Im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten hat der Abkühlungseffekt durch Schwefelaerosole über Europa erheblich abgenommen, was im Vergleich zu früher zu einer stärkeren Erwärmung auch bei vergleichbaren Wetterlagen führt

5. Der direkte Erwärmungseffekt in Mitteleuropa durch die Zunahme der Treibhausgaskonzentration ist im Vergleich zu den anderen vorab aufgeführten Faktoren eher gering

6. Die indirekten Effekte durch einen Treibhausgasanstieg werden in der Literatur diskutiert; insbesondere die sog. Arctic Amplification und eine dadurch bedingte Verlangsamung der Westwindströmung in den mittleren Breiten, wodurch wandernde Hochs und Tiefs längere Zeit über bestimmten Regionen verharren (quasi – resonante stationäre Wellen) und dort Witterungsextrme auslösen können. Allerdings ist der Zusammenhang mit dem Treibhausgasanstieg eher vage und wird teilweise kontrovers diskutiert. Die Theorie kann auch nicht erklären, wieso es gerade über dem Ostatlantik und Europa zu den beobachteten Anomalienmustern kommt

7. Über Europa ist es in den letzten Jahrzehnten im Sommer zu keiner Abschwächung der Westwindströmung (d. h. des Strahlstroms) gekommen.
Über dem Atlantik hat sich die Westwindströmung zwischen den Subtropen und den mittleren Breiten verstärkt, aber zwischen den mittleren und den hohen Breiten abgeschwächt.
Ursache ist vor allem eine Verstäkung des Subtropenhochs und eine Abschwächung des Islandtiefs. In den mittleren Breiten (ca. 50°N) haben sich die Tiefs in der Tendenz eher verstärkt. Dies entspricht einer Südwärtsverlagerung des Strahlstromes über dem Atlantik, was im Widerspruch zu den gängigen Klimamodellvorhersagen steht

8. Analysen zeigen, dass es einen gut belastbaren Zusammenhang zwischen der positiven Phase der AMO, einer natürliche Schwankung des nordatlantischen Klimasystems (etwa seit Mitte der 1990er Jahre), und den beobachteten “Hotspots” der Erwärmung in den mittleren Breiten gibt.
Die regionale Verteilung dieser Hotspots stimmt mit der Position einer 5er Welle überein, von der ein Wellental über dem Ostatlantik und ein Wellenberg über Europa auftritt, was mit der beobachteten Wärmeepisode im Sommerhalbjahr über Europa in den vergangenen Jahrzehnten und den beobachteten Zirkulationsmustern über dem Ostatlantik und Europa übereinstimmt.

Ferner befindet sich die East Atlantic Oscillation EAO, eine weitere natürliche Schwankung über dem Atlantik, seit Ende der 1990er Jahre in einer positiven und seit 2012 in einer stark positiven Phase. Während positiver Phasen der EAO treten genau die Zirkulationsmuster verstärkt auf, die in den letzten Jahrzehnten häufiger geworden sind: Tief über dem Ostatlantik, Hoch über Europa. In Mitteleuropa ist es dann wärmer als normal

9. Man kann als Hypothese formulieren, dass durch den verstärkten Strahlstrom über dem Atlantik zwischen den Subtropen und den mittleren Breiten (etwa entlang des 40° Breitenkreises) stehende Wellenzüge initiert wurden, die mit zu den beobachteten Mustern eines Wellentales über dem Ostatlantik und eines Wellenberges über Europa beigetragen haben, ein Muster, das sich auch in der verstärkten positiven Phase der EAO wiederspiegelt

10. Geht man davon aus, dass der beobachtete globale Temperaturanstieg durch Treibhausgase bedingt ist und in den vergangenen Jahrzehnten etwa 0,15° C pro Jahrzehnt betrug, dann hätte dies in den letzten 40 Jahren zu einem Anstieg in Mitteleuropa von etwa 0,6° führen können.
Der beobachtete Anstieg im Sommer gegenüber dem Mittel 1961 – 1990 betrug etwa 1,8° C, sodass dieser Temperaturanstieg als Zusammenwirken anthropogener und natürlicher Faktoren gesehen werden sollte.

Als natürliche Faktoren müssen gegenwärtig vor allem die geänderten Zirkulationsparameter, die sich z. B. auch in der positiven Phase der AMO und der EAO zeigen, angesehen werden, sowie die deutlich gestiegene Sonneneinstrahlung.

Inwieweit veränderte Zirkulationsparameter ihrerseits durch den Treibhausgasanstieg in der Atmosphäre eine Änderung erfahren haben, kann auf Grundlage des gegenwärtigen Erkenntnisstandes in der klimawissenschaftlichen Fachliteratur weder auf der Grundlage von Modellrechnungen noch aufgrund theoretischer Erwägungen entschieden werden.