Magie der Statistik: Ist der Sommer 2012 schlecht oder doch nicht so schlecht?



13. August 2012


Bis vor kurzen wurde in den Medien und auch auf climatetruth eine angeregte Diskussion darüber geführt, ob dieser Sommer schlecht oder doch nicht so schlecht ist. Während in den Medien allgemein und in der Öffentlichkeit bis etwa zum 20. Juli die Meinung überwog, der Sommer sei mies, erklärten uns die offiziellen „Wetterdeuter“: Was wollt ihr eigentlich? Dieser Sommer ist völlig normal! Wetterguru Jörg Kachelmann maulte: Er könne das Gegreine über den schlechten Sommer nicht mehr hören, Deutschland läge nun mal nicht am Mittelmeer.

Wer hat nun eigentlich Recht? Die öffentliche Wahrnehmung oder die offiziellen Wetterdeuter?

Wenn man genau hinschaut, muss man sagen: Beide. Wie kann das sein?

Mehrere Gründe:

1. Die öffentliche Wahrnehmung bezieht sich auf etwas anderes als die offizielle Wetterstatistik.
Die offizielle Wetterstatistik hat Recht, wenn sie sagt, die Mitteltemperaturen liegen so etwa im Normalbereich, in Süddeutschland etwas wärmer als normal, in Norddeutschland etwas kühler.

2. Obwohl temperaturmäßig normal, war das Wetter aber erheblich wolkiger, d. h. sonnenscheinärmer und niederschlagsreicher als normal, besonders im Hinblick auf die Anzahl der Niederschlagstage.
Wenn z. B. im Juli 2012 in den ersten 20 Tagen an 15 Tagen messbarer Niederschlag gefallen ist, wie an vielen Wetterstationen nördlich des Mains, dann ist das nicht normal sondern sehr unnormal.
Das Wetter war einfach schlecht, auch wenn die Temperaturen etwa im Normalbereich lagen. Die öffentliche Wahrnehmung reagiert auf andere Wetterparameter als die Temperatur.

3. Hinzu kommt das Problem der „schrägen Statistik“.

Dieses Problem kommt dadurch zustande, dass es im Sommerhalbjahr oft längere Zeitabschnitte mit leicht unternormalen Temperaturen gibt (die die öffentliche Wahrnehmung prägen), die aber von recht kurzen Abschnitten mit stark übernormalen Temperaturen völlig kompensiert werden können, sodass die Temperaturen eines Monats im Mittel normal sind. Also lange Perioden mit Sauwetter werden von kurzen Perioden mit Superwetter temperaturmäßig kompensiert.
Beispiel: An den ersten 25 Tagen eines Monats herrscht wolkiges, regnerisches und kühles Wetter, im Mittel liegen die Temperaturen 1°C unter normal. In den letzten 5 Tagen dieses Monats tritt dann eine kurze Wärmeperiode auf, in der die Temperaturen 5°C über den Normalwerten liegen. Statistisch gesehen ist dann die Temperatur des gesamten Monats gerade normal, obwohl 25 Tage lang mieses Wetter herrschte.
Zur weiteren Veranschaulichung folgendes Beispiel, das für Deutschland im Sommer durchaus typisch ist. Wenn die Mitteltemperatur 18°C beträgt, die mittlere Höchsttemperatur 23° und die mittlere Tiefsttemperatur 13°C, kann während einer wolkigen und feuchten Periode die Mitteltemperatur 17°C, die mittlere Höchsttemperatur nur 20°C, die mittlere Tiefsttemperatur aber 14°C betragen, weil bei wolkigem Wetter im Sommer die Höchsttemperatur stärker gedrückt ist als die Tiefsttemperatur, die sogar höher sein kann als normalerweise, weil wolkige Nächte generell wärmer sind als klare.
Wenn dann eine Wärmeperiode eintritt mit Höchsttemperaturen von 28°C, Tiefsttemperaturen von 18°C und Mitteltemperaturen von 23°C ist es genau 5°C wärmer als normal und 5 Tage dieser Witterung hätten 25 Tage der vorangegangenen kühlen Witterung kompensiert. Magie der Statistik.

4. Zudem haben wir uns in den letzten beiden Jahrzehnten an schöne Sommer gewöhnt (s. auch hier). In den letzten 20 Jahren gab es erheblich mehr warme Sommertage als in den vorangegangen 40 – 50 Jahren, die aber die „Klimanormalperiode“ geprägt haben (wie z. B. 1951 – 1980 oder 1961 – 1990). Im Vergleich zu den schlechten Sommern früherer Jahre war der Sommer 2012, zumindest bis zum 20. Juli, in der Tat nicht so schlecht, wie Jörg Kachelmann völlig richtig anmerkt.

Seit dem 23. Juli hat sich die Großwetterlage umgestellt, sodass die letzte Juliwoche in weiten Teilen Deutschlands recht sommerlich war.

Auch der August verspricht seinem Ruf als „Retter des Sommers“ in diesem Jahr – anders als in den vorangegangenen fünf Jahren - wieder gerecht zu werden.
Während die Witterung im Juli durch ein Wellental der Welle 5 über dem Ostatlantik und Westeuropa - zusammen mit einem Hochkeil dieser Welle und Hitzewelle über den zentralen Teilen der USA – geprägt war, ist die Zirkulation der mittleren Breiten der Nordhemisphäre nunmehr durch eine Welle 6 (360/6 = 60°) mit einem Wellental (Tiefdruckgebiet) etwa auf 20°W und einem Wellenberg (Hochdruckgebiet) 60/2 = 30° östlich davon auf 10° E, also genau bei uns, charakterisiert.
An dieser Konstellation wird sich den Vorhersagemodellen zufolge auch in den nächsten 10 Tagen, also bis zum 23. August, nichts wesentliches ändern, da das Tief auf 20°W immer wieder regeneriert wird und in zunehmendem Maße von Südwesten her Heißluft nach Mitteleuropa transportiert. Es wird also heiß werden, besonders Ende dieser und zu Beginn der nächsten Woche.
Auf der anderen Seite des Atlantiks liegt jetzt ein Wellental (Tief) der Welle 6 bei 60° westlich von 20°W, also bei 80°W über dem Osten der USA. In der Tat sind die Temperaturen dort bereits unter die Normalwerte gesunken, auch hat die Niederschlagstätigkeit wieder eingesetzt und die Dürre, wenn auch nicht beendet, so doch abgeschwächt.