Herzogtum Energiewende: Die Wiederauferstehung der Kleinstaaterei in Deutschland



22. Februar 2013


In den letzten Jahren rollt eine Welle quer durch die Republik, die ein gewisses Erstaunen hervorruft: Angefacht durch den Wunsch, grüner zu sein als der Nachbar, arbeitet praktisch jedes Bundesland, jeder Regierungsbezirk, jeder Landkreis, jede Stadt, jede Gemeinde daran, bis 2050 ihre CO2 Emissionen um 100% zu reduzieren, also die „Energiewende“ lokal umzusetzen.

Den Enthusiasmus derjenigen, die das anstreben, in allen Ehren, aber man gewinnt den Eindruck, dass das alles nicht besonders gut durchdacht ist, selbst wenn man der Ansicht wäre, wir bräuchten eine „Energiewende“ – raus aus der Kernenergie, raus aus der fossilen Energienutzung, aus welchem Grunde auch immer.

Wieso das so ist, soll am Beispiel des Großraums Braunschweig erörtert werden. Seit einigen Jahren arbeitet der Zweckverband Großraum Braunschweig (ZGB) an Konzepten, die Energieversorgung der Region bis 2050 zu 100% auf Erneuerbare umzustellen. Hierzu wurden Studien ausgearbeitet, die auf öffentlichen Workshops vorgestellt wurden. Zwei dieser Workshops fanden am 25. Juni 2012 und am 8. Oktober 2012 statt (s. z. B. hier ).

Das Medienecho auf die Ergebnisse des Workshops war vorhersagbar positiv und folgte der in den Massenmedien vorherrschenden Meinung, dass wir eine „Energiewende“ brauchen, und dass es doch sehr ermutigend sei, dass man selbst in der Region die Energieversorgung bis 2050 zu 100% auf Erneuerbare umstellen könne. Der gegenwärtige Stand der Überlegungen des ZGB kann z. B. hier eingesehen werden.

Im Kern wird ein massiver Ausbau der Photovoltaik und der Windenergie angestrebt, die künftig die Rolle der fossilen Energien übernehmen sollen. Ausgeklammert wurde dabei – was Fragen nach dem Realismus dieser Überlegungen aufwirft – der industrielle Energieverbrauch.

Dazu muss man wissen, dass der Großraum Braunschweig vom Volkswagenwerk in Wolfsburg (und seinen Zulieferbetrieben) und den Stahlwerken Peine – Salzgitter geprägt wird. Die größte CO2 Emissionsquelle der Region ist das Kraftwerk Buschhaus, das allerdings im Jahre 2017 stillgelegt werden soll.
Der industrielle Energieverbrauch ist erheblich höher als derjenige der Privathaushalte. Ein Energiekonzept für die Region ohne Berücksichtigung der Industrie scheint deswegen wenig realistisch zu sein.

Die grundsätzliche Frage, ob eine „Energiewende“ in Deutschland erforderlich ist oder nicht, wurde bereits hier und in anderen Beiträgen auf Climatetruth kritisch hinterfragt.

Hier noch einmal einige der Kernpunkte:

- CO2 Emissionsminderung EEG Deutschland bis 2050 irrelevant für Klimaentwicklung; selbst eine 100%ige Reduzierung der EU-27 Emissionen bringen keinen messbaren Klimaeffekt, wenn der Rest der Welt weiter mit den gleichen Anstiegsraten emittiert wie bisher (Effekt kleiner als 0,2 °C bis 2100)

- CO2 Emissionen der Stromerzeugung unterliegen europaweit dem EU Emissionshandelssystem, Ziel ist eine Emissionsminderung um 1,74% p.a., d. h. ca. 70% bis 2050. Emissionsminderungen in D durch Erneuerbare mindern zwar CO2 Emissionen der EVUs in D, eröffnen aber Spielraum für höhere CO2 Emissionen in anderen EU Ländern, weil die hier freigesetzten Emissionszertifikate in anderen EU Ländern genutzt werden können; per saldo wird dadurch kein CO2 reduziert (Sinn, Grünes Paradoxon, Emissionshandel ist europaweit, EEG nur in D)

- Erneuerbare können keine bedarfsgerechte Versorgung darstellen, weil Sonne in BS weniger als 20% der Jahresstunden scheint (ca. 1600 vs. 8760 Std), für Wind gilt Ähnliches, Verfügbarkeit ca. 20 – 30 % der Jahresstunden. Ausreichende Speicherkapazität für Strom ist technologisch derzeit nicht darstellbar und auch nicht absehbar. Duale Erzeugungsstruktur ist deswegen auch in einigen Jahrzehnten noch notwendig (traditionell fossil/nuklear) plus Erneuerbare um bedarfsgerechte Erzeugung zu gewährleisten.

- Wachsende Widerstände gegen hohe EEG Einspeisevergütungen. Ab 20 Mrd. EUR p. a. könnte EEG auf massiven Widerstand aus Wirtschaft und Öffentlichkeit stoßen. Wirtschaft vertritt keine ideologischen Positionen in der Art der Energieerzeugung; Preis/Kosten/Wettbewerbsfähigkeit ist entscheidend. 2/3 der Stromerzeugung in D fließen in Industrie und Gewerbe.

Aber gehen wir trotzdem einmal davon aus, dass eine Energiewende in Deutschland politisch gewünscht wird. Ist es dann sinnvoll, dass jede Region, jeder Landkreis, jede Stadt, jede Gemeinde anstrebt, ihre CO2 bis 2050 um 100% zu reduzieren, ihren Energiebedarf zu 100% aus Erneuerbaren deckt?

Wir meinen, dass dies aus folgenden Gründen nicht sinnvoll und ökonomisch ineffizient ist:

Man kann die Energieversorgung einer Region, die in das nationale und internationale wirtschaftliche und energiepolitische Umfeld eingebunden ist, nicht lokal organisieren, ohne erhebliche Ineffizienzen hervorzurufen.

Einer der Hauptgründe wurde bereits oben aufgeführt, nämlich die Deckelung der europaweiten und somit auch der deutschen und regionalen Anlagen bezogenen CO2 Emissionen der Stromerzeugung. Kraftwerke erzeugen Strom sowohl für den industriellen als auch für den privaten Bedarf. Stromerzeugung durch Wind und Sonne auf regionaler Ebene führt deswegen zu keiner CO2 Emissionsminderung im Gesamtsystem. Das Ziel des Ausbaus Erneuerbarer auf lokaler und regionaler Ebene, CO2 zu reduzieren, wird deswegen verfehlt.

Aber auch wenn es den europäischen Emissionshandel nicht gäbe, würde die Absicht lokal und regional Strom zu 100% aus Erneuerbaren zu erzeugen, Ineffizienzen hervorrufen.

Der Grund liegt darin, dass es einige Regionen gibt, die produktiver für die Stromerzeugung aus Wind und Sonne gibt, als andere.
Gefragt wäre deswegen nicht lokaler und regionaler Aktionismus sondern ein übergreifender nationaler oder besser noch: internationaler Plan, Wind- und Sonnenstromerzeugung bevorzugt an denjenigen Standorten auszubauen, wo der Ertrag am höchsten ist.

Auf das Beispiel der Region Braunschweig übertragen heißt das: Ist es wirklich sinnvoll, die Windenergie hier massiv auszubauen, wo der Jahresmittelwert der Windgeschwindigkeit laut DWD etwa bei 4 ms-1 liegt, oder im westlichen Niedersachsen und in den küstennahen Regionen, wo er bei ca. 7 ms-1 oder höher liegt? Ist es sinnvoll, hier die Photovoltaik massiv auszubauen, wo die Sonnenscheindauer im Jahresmittel bei 1500 – 1600 Std. liegt, oder in denjenigen Regionen Deutschlands, wo sie bei 1800 – 2000 Std. liegt?

In Südeuropa ist die Sonnenscheindauer zudem erheblich höher, weswegen, wenn überhaupt, diese Länder für eine forcierte Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen infrage kommen sollten.

Zudem wird es bei einem forcierten Ausbau der Windenergie erhebliche Probleme damit geben, die Windkraftanlagen in einem bestimmten Abstand von Wohngebieten und von Naturschutzgebieten zu errichten. Der Landschafts- und Naturschutz sollte wohl kaum einer ideologischen Zielvorgabe geopfert werden, die ihr Ziel, CO2 Emissionen zu reduzieren, ohnehin nicht erreichen wird (s. oben).

Die Frage der Kosten scheint ohnehin bei diesen Überlegungen keine Rolle zu spielen – oder zumindest nicht gespielt zu haben. Erst jetzt, wo das ganze Kostendrama der Energiewende ins öffentliche Bewusstsein durchsickert, wird man sich darüber im Klaren, was auf die Bürger zukommt .

Ob das auch bei den lokalen und regionalen Aktivitäten dazu führt, den forcierten Ausbau der Erneuerbaren zu hinterfragen, ist nicht sicher. Das Gegenteil ist zumindest genauso wahrscheinlich, denn:

- Bei der Energiewende und 100% Erneurbaren geht es schlussendlich nicht nur um das Klima in 50 oder 100 Jahren, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen, hier, heute und jetzt: Nämlich darum, so schnell wie möglich soviel wie möglich EEG fähige Kapazitäten zu installieren, um die lukrativen Einspeisevergütungen zu sichern (7 – 9% auf das eingesetzte Kapital, im Vergleich: ca.1% im Sparbuch/Festgeld) bevor in Berlin ein Umdenken einsetzt, und die Felle davon schwimmen.

Das genau passiert bereits jetzt (s. z. B. hier ).

Deswegen ist absehbar, dass der Ausbau der Erneuerbaren auch in der Region Braunschweig noch in 2013 massiv vorangetrieben wird, um noch in den Genuss der bestehenden gesetzlichen EEG Regelungen zu kommen, bevor nach der Bundestagswahl im Herbst das EEG novelliert und die Förderung Erneuerbarer wesentlich verringert wird.

Als Fazit kann man Folgendes festhalten:

Es kann nicht sein, dass Deutschland in eine energiepolitische Kleinstaaterei zurückfällt, bei der jedes Bundesland, jeder Bezirk, jede Stadt, jede Gemeinde glaubt, sie müsse bei der CO2 Reduzierung Pionierarbeit leisten und meinen, es der Nachbargemeinde mal richtig zeigen zu müssen, wie man das macht.

Die Energieerzeugung und vor allem die Energiepolitik sind deutschlandweit bzw. europaweit organisiert und der Versuch, in jeder einzelnen Region die Energieversorgung zu 100% auf Erneuerbare umzustellen kann nur zu Ineffizienzen führen. Jeder lokaler und regionaler Ausbauplan kann kein „Stand alone“ Plan sein, sondern muss in einen nationalen und internationalen langfristigen Energieplan integriert werden. Die Motivation dafür, es trotzdem zu machen, liegt wohl zumindest teilweise darin, die Einspeisevergütungen nach EEG zu vereinnahmen.

Aber:

- Dieses wirtschaftliche Interesse stößt auf die wirtschaftlichen Interessen derjenigen, die das über höhere Strompreise finanzieren müssen, und auch auf die Interessen derjenigen, die unter der Landschaftsveränderung durch den Ausbau der Erneuerbaren zu leiden haben (Stichworte: Verspargelung der Landschaft, Zerstörung von natürlichen Lebensräumen, Disko Effekt, fallende Immobilienpreise in der Nähe von Windparks etc.).

Hier ist ein Interessenausgleich erforderlich.