Kann die Kernkraft uns vor der Energie- und Klimakrise retten?

21. März 2023

Eine Renaissance der CO2-freien Kernkraft wird häufig in Erwägung gezogen, um uns sowohl vor der Energie- als auch vor der “Klimakrise” zu retten.

In der Tat wird in zahlreichen Ländern ein Ausbau der Kernenergie sowohl aus Gründen der Sicherung der Energieversorgung als auch als De – Karbonisierungsstrategie geplant, um die “Klimaziele” einzuhalten.

Sicherlich nicht in Deutschland, da hier ein Sonderweg beschritten wird, sowohl aus der Kernenergie als auch aus den fossilen Energieträgern auszusteigen.

Kernenergie arbeitet in der sogenannten Grundlast, läuft also unabhängig von Tages- und Nachtzeit, bei Wind und Wetter praktisch rund um die Uhr, abgesehen von Wartungsperioden.

Die Stromerzeugung aus bestehenden Kernkraftwerken ist zudem konkurrenzlos günstig, weswegen es eine sinnvolle Strategie wäre, bestehende Anlagen zur Bewältigung der Strompreiskrise so lange wie möglich weiter laufen zu lassen.

Dabei liegt die Betonung auf bestehenden KKWs.

Die Situation stellt sich etwas anders dar bei KKWs, die sich gegenwärtig im Bau befinden, kurz vor der Inbetriebnahme stehen oder geplant werden.

Aktuelle Kostensituation beim Bau neuer KKWs


Grundsätzlich kann man keine allgemein gültige Aussagen für alle Länder der Erde machen, in denen KKW Neubauten geplant werden, weil die Kosten hochgradig länderspezifisch sind und in der Vergangenheit bereits waren.

Generell läßt sich sagen, wie hier im Detail dargelegt, dass die Kosten in der Vergangenheit in den westlichen Industrieländern erheblich höher waren, als in den Schwellenländern, besonders im asiatischen Raum.

In den westlichen Industrieländern haben fast alle KKW Projekte in den letzten Jahren – und bereits vor der Inflations- und Materialkrise der letzten beiden Jahre – unter dem BER bzw Elbphilharmonie Problem gelitten: Die Baukosten und – zeiten haben sich mindestens verdoppelt. Und somit auch die Erzeugungskosten für Atomstrom.

Das mag in Europa, wo sich die Erzeugungskosten u. a. wegen der Erdgaskrise in 2022 dramatisch erhöht haben, noch akzeptabel sein, in den USA ist das sicherlich nicht mehr der Fall, wie wir hier weiter unten zeigen werden.

Drei Beispiele für die Kostenexplosion beim Neubau von KKWs sollen hier genannt werden.

Das erste Beispiel ist Hinkley Point im Vereinigten Königreich, gelegen am Bristol Channel.

Die Kosten bis zur Fertigstellung sollen nicht wie geplant bei 18 Mrd GBP, sondern bei 25 – 26 GBP liegen. Die Inbetriebnahme des ersten Teils der 3,2 GW Anlage soll sich bis ins Jahr 2027 verzögern. Ursprünglich war in 2007 eine Inbetriebnahme in 2017 geplant, aber der Baubeginn wurde erst 2016 genehmigt. Trotz der Kostensteigerung soll Strom, wie vereinbart, für 35 Jahre zum Preis von 92,50 GBP/MWh (9,25 Pence/kWh) produziert werden, allerdings mit der Inflationsrate steigend.
Sollte es bei den Kosten von 26 Mrd GBP für die 3,2 GW Anlage bleiben, würden sich die Baukosten auf ca. 8.000 GBP/kW belaufen, was historisch gesehen hoch ist, sich aber nach heutigem Stand im vernünftigen Rahmen bewegt.

Das zweite Beispiel ist das finnische 1600 MW (1,6 GW) KKW Olkiluoto .
Dieses KKW sollte bereits Ende der 2000er Jahre in Betrieb genommen werden. Die tatsächliche Inbetriebnahme erfolgte im März 2023, die Kosten explodierten von 3 auf 9 Mrd EUR.
Trotzdem liegen die Kosten pro kW installierter Leistung demnach nur bei etwa 5.600 EUR und damit deutlich unter Hinkley Point.

Das dritte Beispiel ist die Vogtle Nuclear Power Plant im US Bundesstaat Georgia, units 3 und 4 .

Deren Baukosten sollen nun auf über 30 Mrd USD steigen. Ursprünglich waren für die beiden 1250 MW Reaktoren 3 und 4 14 Mrd USD veranschlagt. Der Bau wurde 2009 begonnen und die Inbetriebnahme war ursprünglich für 2016 geplant. Bleibt es bei den Baukosten von 30 Mrd USD, beliefen sich die Kosten der beiden Reaktoren 3 und 4 auf ca 12.000 USD pro kW installierter Leistung.

Man sieht also deutlich, wo die Probleme der Kernkraft in den westlichen Industrieländern außerhalb Deutschlands liegen: Nicht bei ideologischen Hürden, wie in Deutschland, sondern in extremen Kostensteigerungen und extremen Bauzeitenverlängerungen, also im klassischen BER und Elbphilharmonieproblem.

Zum Vergleich seien die Baukosten eines Gaskraftwerkes genannt: Sie liegen bei ca 1000 EUR pro kW installierter Leistung, also bei einem Bruchteil der Kosten für ein KKW.
Dafür sind die Brennstoffkosten allerdings um einiges höher (s. dazu die Analyse hier).

Und genau an der Kostenfrage und an der Sicherung der Energieversorgung wird sich entscheiden, ob der Bau eines KKWs wirtschaftlich und energiepolitisch sinnvoll ist, oder nicht.
Angesichts der extrem hohen Strompreise in Europa wäre es wahrscheinlich sogar wirtschaftlich hinnehmbar, die hohen Baukosten für ein KKW zu akzeptieren. Allerdings werden auch dann die niedrigen Strompreise, die mit den Bestands – KKWs erreicht werden, der Vergangenheit angehören.

Rolle von Small Modular Reactors (SMR)


In letzter Zeit wird häufiger über eine neue Generation von KKWs diskutiert, die wesentlich kleiner sind und deswegen im Bau auch erheblich kostengünstiger sein sollen, als klassische KKWs.

Die Rede ist von Small Modular Reactors (SMR), die in Großserienherstellung deutlich billiger sein und deswegen auch Strom billiger erzeugen sollen, als klassische KKWs.

Schaut man genauer hin, so scheinen sich jedoch einige Probleme aufzubauen, die in die gleiche Richtung weisen, wie beim Bau klassischer KKWs.
In den USA werden SMRs von zwei Unternehmen entwickelt, NuScale Power und das von Bill Gates unterstützte Unternehmen TerraPower. NuScales erstes Projekt, das Carbon Free Power Project in Idaho hat kürzlich seine Stromerzeugungskosten von 5,8 auf 8,9 cents/kWh angehoben.

Die Baukosten für die sechs SMRs mit einer Leistung von jeweils 77 MW (462 MW insgesamt) sollen von 5,3 auf 9,3 Mrd USD steigen, umgerechnet auf ca 20.000 USD/kW installierter Leistung und damit mehr, als die Vogtle Anlage in Georgia.
Dabei sind hier bereits 4 Mrd USD an Subventionen berücksichtigt, ohne die Subventionen läge der Strompreis 30 USD/MWh ( 3 Cent pro kWh) höher bei 11,9 Cent/kWh und die Gesamtkosten betrügen 13 Mrd USD statt 9 Mrd USD.

Demzufolge ist es als mehr als fraglich, ob SMRs zu einer Renaissance der Kernkraft führen, da die Kostenersparnis durch SMRs im Vergleich zu traditionellen KKWs in keiner Weise gegeben zu sein scheint.

In den USA ist die Kernkraft zudem, egal ob in traditionellen oder in SMRs, nicht mit der Stromerzeugung aus Erdgas konkurrenzfähig, wie in nachfolgender Studie gezeigt wird.

Diese Analyse , in der die Erzeugungskostensituation in den USA genauer durchleuchtet wird, verdeutlicht, dass die Kernkraft gegenüber Erdgas nicht wirtschaftlich konkurrenzfähig ist, auch unter Annahme einer CO2 Steuer, die es aber nicht gibt.
Nur unter Annahme einer unrealistisch hohen CO2 Steuer und unrealistisch hohen Erdgaspreisen, die aber seit Mitte 2022 förmlich kollabiert sind (von knapp 10 auf etwas über 2 USD pro MMBtu), würden sich SMRs und traditionelle KKWs rechnen.

Mögliche Renaissance dr Kernkraft in Europa


In Europa sähe die Situation anders aus, da die Stromerzeugungskosten in Neuanlagen auch im Erdgasbereich sehr hoch sein dürften, weswegen hier Gaskraftwerke nur im Spitzenlastbereich eingesetzt werden (weil Erdgas hier wesentlich teurer ist, als in den USA) und weil hier durch den Emissionshandel eine Quasi – CO2 Steuer erhoben wird (gegenwärtig etwa 80 EUR/tCO2), die allerdings dem Stromverbraucher in Rechnung gestellt wird.
Im Vergleich zu den Börsenstrompreisen lägen Erzeugungskosten im Bereich von 100 EUR pro MWh deutlich unter den Preisen von Mitte 2022, aber nur knapp unter den Futures Preisen für 2024.
Die Erzeugungskosten machen natürlich nur einen Teil des Strompreises aus, hinzu kommen Netzkosten, Verteilungskosten etc und verschiedene Abgaben, wie Konzessionsabgaben etc. Das kann jeder auf seiner Stromrechnung ja mal nachschauen, obwohl der Haushaltsstrompreis zunächst wenig mit dem Börsenpreis zu tun hat.

Hier findet sich eine Abschätzung, wie viele KKWs man europaweit bauen müsste, um Erdgas in der Energieversorgung zu ersetzen. Die Zahl liegt bei etwa 50 – 150 (250 Reaktoren) ein völlig unrealistisches Unterfangen, wenn man berücksichtigt, dass die Bauzeit bei etwa 15 Jahren liegt und die Kosten pro installierter Leistung wohl kaum unter 10.000 EUR/kW liegen, wenn man die jüngsten Zahlen aus dem Vereinigten Königreich und den USA zugrunde legt.

Rechnet man pro 1000 MW Leistung eines KKW mit 10 Mrd EUR, was in etwa den gegenwärtigen Kosten entspricht, so würde der Neubau von 100 derartiger Kraftwerke 100 mal 10 Mrd, also 1,0 Billionen EUR kosten, die stranded costs für die vorzeitig aufgegebenen fossilen Kraftwerke nicht eingerechnet.

Dies sind Kosten, die die Allgemeinheit in Europa für die Klimaneutralität allein durch die Verdrängung von Erdgas aus der Energieversorgung und dessen Ersatz durch Kernenergie tragen müsste.

Berücksichtigen muss man allerdings auch, dass die Kapazitätsfaktoren von KKWs bei etwa 90% liegen, dh diese Anlagen liefern kontinuierlich Strom und nicht nur bei 10% (Photovoltaik in Deutschland) oder 20 – 22 % bei on – shore Wind.

Deutschland wird diesen Weg mit Sicherheit nicht gehen, aber Länder wie Polen, die Tschechische Republik oder auch die Niederlande, Frankreich sowieso, erwägen oder planen den Bau von KKWs auch und gerade, um die “Klimaziele” einzuhalten.

Außereuropäische Länder wie China, Indien und die Russische Föderation planen ohnehin einen Ausbau der Kernenergie. In diesen Ländern ist die Kostensituation deutlich besser als in den westlichen Industriestaaten, so dass allein deswegen die Chancen für einen Ausbau der Kernenergie deutlich besser stehen.

Abschließend noch ein Hinweis darauf, wie viele KKWs man bräuchte, um die gesamte Energieversorgung der Welt bis 2050 zu de – karbonisieren: Nämlich ungefähr 10.000, dh etwa eines pro Tag in den kommenden knapp 30 Jahren, ein irrwitziges Gedankenexperiment, dass nur zeigt, wie schwierig und kostenaufwendig eine Total De – Karbonisierung der Weltwirtschaft innerhalb von 30 Jahren sich gestalten würde.

Fazit:

- Die Kosten, neben der Sicherung der Energieversorgung und den Notwendigkeiten einer De - Karbonisierung sind die entscheidenden Faktoren, ob es zu einer Renaissance der Kernenergie kommen wird, oder nicht.

- Renaissance der Kernenergie in den USA aus Kostengründen eher nein,

- in Europa – Deutschland natürlich ausgenommen - vielleicht und möglicherweise eher ja, da die Stromerzeugungskosten von vorneherein eher hoch sind und weil eine stringente De – Karbonisierungsstrategie gefahren wird,

- im Rest der Welt, besonders in China, Indien und auch Russland eher ja, bis auf jeden Fall ja, weil die Kosten deutlich niedriger sind als in den westlichen Industrieländern und der Energiehunger einer wachsenden Bevölkerung, die nach wachsendem Wohlstand hungert, befriedigt werden muss – wofür man alle Energieträger braucht: fossile, erneuerbare und nukleare.