Klimawissenschaft und Politik



19. Dezember 2011

Angeregt durch eine Diskussion in Roger Pielke’s Blog und einer Reaktion hierauf erscheint es interessant sich der Frage zu widmen, ob die Klimapolitik eine wissenschaftliche Grundlage hat oder nicht.

In den Reihen der Klimaalarmisten scheine die Illusion vorzuherrschen, so könne man aus dem von Pielke zitierten FT Beitag schlussfolgern, man müsse die Bedrohung des Klimas durch den Menschen nur kräftig übertreiben und in den düstersten Farben ausmalen um politisch etwas zu bewegen. Immerhin kann man dafür ja auch mit einem Friedensnobelpreis belohnt werden, wie das IPCC und Al Gore herausfinden konnten.

Nach Meinung vieler geschieht noch immer zu wenig, weswegen einige recht frustriert sind, nur so kann man den hier ebenfalls angesprochenen Beitrag von „Hockeystick“ Michael Mann über Wege der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit auf der Jahrestagung der AGU im Dezember 2011 verstehen („Wir haben so dick es geht aufgetragen, trotzdem passiert nichts!“).
Die Skeptiker seien einer ähnlichen Illusion verfallen, wenn sie meinen, die Politik werde die Klimaproblematik anders beurteilen, oder sogar einige der bereits gefällten Entscheidungen zurücknehmen, wenn sie darlegen können, dass es für diese Politik keine wissenschaftliche Grundlage gebe. Im von Pielke zitierten FT Beitrag werden die Skeptiker als irrelevante Sideshow dargestellt, die allenfalls als Prügelknabe dafür herhalten könnten, dass keine Entscheidungen getroffen werden, aber sie können nicht in der Sache dafür verantwortlich gemacht werden.

Erwähnenswert ist noch am Rande, dass der FT Autor eine PNAS Veröffentlichung zitiert, der zufolge 97 % aller aktiven Klimawissenschaftler glauben, dass der menschengemachte Klimawandel stattfindet und das deswegen die wissenschaftliche Debatte beendet sei.
Als ob es darum ginge. Es geht nicht darum, ob 97% aller Wissenschaftler davon überzeugt sind, dass CO2 ein Treibhausgas ist, dass die CO2 Konzentration in der Atmosphäre ansteigt, und dass es dann wärmer wird. Sondern es geht darum, um wie viel es wärmer wird, ob der Klimawandel in dem Ausmaß stattfindet, wie oftmals behauptet wird, ob Klimaextreme zunehmen oder nicht, wie sich die globale Erwärmung auf Natur und menschliche Aktivitäten auswirkt. Es geht also um eine Reihe ungeklärter Fragen. Und bislang haben z. B. Klimaextreme generell nicht zugenommen (egal was die Medien dazu behaupten), die beobachtete Erwärmung selbst ist allenfalls halb so groß wie modelliert (ca. 0,15 °C pro Jahrzehnt seit 1976), wobei überhaupt nicht klar ist, wie viel davon natürlich oder anthropogen ist usw.
Folgte man der Logik des FT Autors, könnte man die Klimaforschungsinstitute gleich dicht machen und weltweit ein paar Mrd. US$ pro Jahr sparen. Denn es ist ja wissenschaftlich alles geklärt. Neue IPCC Berichte brauchen wir dann ja auch nicht mehr.

Nun mag man das aus europäischer Perspektive so sehen wie der FT Autor. In Europa wird seit vielen Jahren eine stramme Klimapolitik betrieben, Europa und auch Deutschland sehen sich in einer Vorreiterrolle. Die hier beschlossene und von den Parlamenten verabschiedete Klimapolitik geht davon aus, dass die alarmistischen Klima-Szenarien zutreffend sind. Klimaskeptiker sind hier in der Tat eher eine irrelevante Sideshow.

In den USA ist das anders. Dort ist ein großer Teil der Öffentlichkeit kritisch gegenüber den Klimakatastrophenszenarien eingestellt, die Mehrheit der republikanischen Abgeordneten in Kongress und Senat neigt eher den Argumenten der Skeptiker zu, weswegen sie dort eben keine irrelevante Sideshow sind. Einer der Gründe hierfür ist, dass ein nicht-marginaler Teil des akademischen Betriebs in den USA skeptisch gegenüber den Klimakatastrophenszenarien eingestellt ist und dies auch medial in die Öffentlichkeit transportiert. Insofern haben die Skeptiker und die Wissenschaft eben doch einen Einfluss auf die Politik. Das sollten Pielke und der FT Autor vielleicht bedenken.

Wenn ein Wissenschaftler – wie Roger Pielke – dem FT Kolumnisten zustimmt und meint, die Wissenschaft sei irrelevant im politischen Entscheidungsfindungsprozess, stimmt das etwas bedenklich und es überrascht wenig, wenn Chip Knappenberger dies in seinem Beitrag kritisch vermerkt.

Was die politische Entscheidungsfindung aber wirklich antreibt, ist nach Auffassung des Autors dieser Zeilen nicht die Wissenschaft an sich, sondern es sind zwei Dinge:

1. Die öffentliche Wahrnehmung, und besonders die mediale Wahrnehmung und Darstellung (Druck von unten)
2. Der politische Wille, Maßnahmen auch ohne eine Bedrohung des Klimas umzusetzen, weil sie aus anderen Gründen sinnvoll erscheinen und das Klimakatastrophenargument als Drohkulisse zu benutzen, um diese Maßnahmen umzusetzen (Druck von oben)

Dies soll anhand von mehreren Beispielen verdeutlicht werden.

Der Autor nahm in seinem früheren Leben einmal an der Sitzung eines klimapolitischen Industriearbeitskreises teil. Vortragender war der Vorsitzende eines Ausschusses des Europaparlamentes. Tenor war: Der Mensch ist wegen seines verschwenderischen Umgangs mit Energie für die zunehmenden Klimaextreme – Stürme, Dürren, Überschwemmungen – verantwortlich. Auf die Frage, wie er darauf käme, dass Klimaextreme zunähmen, noch nicht einmal der IPCC Bericht würde das behaupten (und zwar der IPCC Bericht 2001, wir schrieben das Jahr 2004) kam die verblüffende Antwort: Für ihn sei es irrelevant, ob Klimaextreme zugenommen hätten oder nicht; was für ihn als Politiker ausschlaggebend sei, ist dass die Öffentlichkeit davon überzeugt sei. Und wenn die Öffentlichkeit hiervon überzeugt ist, müsse er als Politiker handeln.
Also wenn die Öffentlichkeit davon überzeugt ist, dass 2 + 2 = 3 oder 2 + 2 = 5 sind, dann müssen Politiker auf dieser Grundlage handeln.

Immerhin, für den Autor war dies ein „defining moment“ und plötzlich fiel es einem wie Schuppen von den Augen. Viele politische Entscheidungen, die man sich rational vordergründig schlecht erklären konnte, werden so auf einmal sehr leicht erklärbar. Die Politik ist nicht unlogisch oder irrational, sondern sie folgt ihrer eigenen, politischen Logik.

Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Umweltpolitik ist die Diskussion um Geschwindigkeitsbegrenzungen zur Ozonminderung in den 1990er Jahren. Bei Ozonalarm sollte in einigen Bundesländern Tempo 80 gelten. Gross aufgemachte Beiträge in den Medien forderten beispielsweise in Nordrhein-Westfalen auch ein Tempolimit wie in Baden-Württemberg oder Hessen, damit man auch dort in den Genuss sauberer Luft käme.

Dann gab es eine Sitzung im Umweltministerium in einem der Bundesländer, an der auch Fachleute teilnahmen, die mit der Atmosphärenchemie der Ozonbildung vertraut waren. Angesprochen wurde unter anderem der nicht-lineare Zusammenhang zwischen den sog. Vorläuferemissionen des Ozons, NOx und Kohlenwasserstoffe (VOCs). So sei es zum Beispiel möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass eine Temporeduktion auf 80, abhängig davon, wie die Vorbelastung mit NOx und VOCs beschaffen ist, zu einer Erhöhung, aber nicht zu einer Verringerung der Ozonbelastung führe.
Dann kam als verblüffende Reaktion eines Mitarbeiters des Ministeriums die Antwort: Dies sei ihnen alles bekannt, aber der Druck der Öffentlichkeit sei einfach zu groß gewesen, sie mussten einfach handeln, egal wie. Es geht also darum, in der Öffentlichkeit den Anschein des Handelns zu erwecken und nicht darum, in der Sache etwas zu bewirken. Psychologie ist halt alles.
Auch der plötzliche Schwenk in der Atompolitik nach Fukushima ist wohl kaum aufgrund besserer Erkenntnisse über den Zustand deutscher Atommeiler als sechs Monate vorher zu erklären, als eine Laufzeitverlängerung beschlossen wurde, sondern durch den klassischen Druck von unten, der zum Handeln und zu einer „Energiewende“ zwang.

Teil dieser „Energiewende“ ist die Förderung (Subventionierung) von Solar- und Windstrom. Da die CO2 Emissionen der Stromerzeugung im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems ohnehin strikt reguliert sind, macht diese Subventionierung aber weder ökonomischen noch umweltpolitischen Sinn, wie Wirtschaftswissenschaftler nicht müde werden nachzuweisen. Die Subventionierung erfolgt allein aus politischen Gründen, diesmal wohl eher durch Druck von oben, weil deren Förderung ein Lieblingsprojekt der neuen politischen Mitte, nämlich des grünen Bildungsbürgertums war und ist.

Diese Mechanismen des politischen „Handelns“ kann man immer wieder in allen Politikbereichen beobachten. Politik ist Psychologie, allein der Schein zählt, die öffentliche Wahrnehmung, nicht das Sein. Die Politik muss in der Öffentlichkeit, vor allem in der veröffentlichten Meinung, den Anschein der Handlungsfähigkeit und des „Handelns“ erwecken. Die öffentliche Wahrnehmung ist das entscheidende.

Hat die Politik einmal etwas beschlossen, so ist es aus ihrer Sicht wichtig, sich an das einmal beschlossene zu halten, oder zumindest den Anschein zu erwecken, als würde sie sich daran halten.

An dieser Stelle kommt dann die Wissenschaft erstaunlicherweise wieder ins Spiel. In der Klimapolitik (und natürlich in anderen Politikbereichen genauso) werden politische Beschlüsse dann nicht mehr mit dem Druck der öffentlichen oder der veröffentlichten Meinung verteidigt, sondern mit den „Erfordernissen der Wissenschaft“, wobei sorgfältig darauf geachtet wird, nur diejenigen Erkenntnisse zu verwerten, die den politischen Standpunkt und die politische Beschlusslage stützen und alles andere möglichst auszusortieren.

Politische Entscheidungen werden also nicht auf wissenschaftlicher oder ökonomischer Grundlage gefällt, sondern auf der Grundlage politischer Erwägungsgründe. Insoweit ist es zum Teil gerechtfertigt zu meinen, Wissenschaft habe keinen Einfluss auf die Politik, sondern die Politik nutzt sie nur zu ihrer Rechtfertigung in dem Maße, wie sie hierfür verwendbar ist.

Der zweite oben aufgeführte Punkt ist ähnlich bedeutsam wie der erste. Druck von Oben bedeutet oft, politische Maßnahmen mit teilweise völlig anderer Zielsetzung mit dem Kampf gegen den Klimawandel zu tarnen, und dabei die Wissenschaft genau in dem Umfang zu benutzen wie für die Argumentation erforderlich.
Wir hatten hier bereits geschildert, wie die Diskussion um die Klimakatastrophe in Deutschland aus der Taufe gehoben wurde, nämlich durch die berühmte Pressekonferenz des Arbeitskreises Energie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft am 22. Januar 1986. Die Diskussion sollte Argumente für die CO2 freie Kernenergie liefern; der damalige Bundeskanzler Kohl sprang darauf an und rief eine Enquete Kommission ins Leben, die sich den Fragen des Klimawandels widmen sollte, pikanterweise waren in der ersten Auflage dieser Kommission keine Meteorologen oder Klimatologen vertreten.
So als ob man in der Medizin eine Enquete Kommission ins Leben rufen würde, die sich mit Herz-Kreislauf Erkrankungen befassen soll und dazu nur Orthopäden, Zahnärzte und Gynäkologen benennt. Politik halt.
In England lief unter der Eisernen Lady, Maggy Thatcher ähnliches ab, sie versuchte gegen die unliebsame Bergarbeitergewerkschaft und die Kohle mit dem Klimaargument vorzugehen.

Im Laufe der Zeit entdeckten die Grünen die Klimakatastrophe als das Hammerargument überhaupt um gegen die verhasste Industriegesellschaft vorzugehen, denn wer einer Industriegesellschaft das Lebensblut, Energie, entziehen kann, hat sie besiegt.
Auch dies war eine Erkenntnis, die von oben nach unten durchsickerte, anders als bei der Anti-Atom Bewegung, die von unten nach oben gewachsen ist.

Viele meinen deswegen, der Kampf gegen den Klimawandel ist eine Agenda der politischen Eliten, ein Kampf, der dem Bürger von diesen Eliten aufgedrückt wird, um in Wahrheit eine völlig andere Agenda durchzusetzen, nämlich die der De-Industrialisierung, des Verzichts, der Bescheidenheit und der Buße für die Verbrechen der Menschheit an Mutter Erde. Das hört sich das irgendwie religiös an und nicht umsonst gehören die Kirchen zu den eifrigsten Verfechtern des Kampfes gegen die Klimakatastrophe.
Wissenschaft stört hierbei nur, wenn Wissenschaft überhaupt akzeptiert wird, dann nur, um den Kampf gegen die Klimakatastrophe zu rechtfertigen, aber niemals um ihn zu relativieren oder gar infrage zu stellen, denn dadurch würde man ja die Umsetzung seiner eigentlichen Agenda gefährden.

Nicht die (Klima-)Wissenschaft ist also die treibende Kraft für (klima-) politische Entscheidungen, sondern auf der einen Seite die öffentliche - oder besser die veröffentlichte - Wahrnehmung, und auf der anderen Seite eine politische Agenda, die sich der Wissenschaft lediglich insoweit bedient, wie es für diese Politik nützlich erscheint.