Klimapolitik in der EU: Die Welt ist im Wandel, nur die Europäer merken es nicht.



20. August 2010


Nach dem Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen setzte weltweit Ernüchterung ein. Obwohl man den Gipfel nur dann als gescheitert ansehen kann, wenn man die Ergebnisse mit den sehr hochgesteckten Erwartungen im Vorfeld der Konferenz vergleicht. Allerdings: Ein rechtsverbindliches Nachfolgeabkommen zum Kyoto Protokoll, in dem noch ambitioniertere Minderungsziele für die Zeit nach seinem Auslaufen Ende 2012 festgeschrieben werden sollten, ist nicht zustande gekommen. Die Blicke richten sich deswegen auf die nachfolgende UN Klimakonferenz Ende 2010 im mexikanischen Seebad Cancun.

Vor Cancun finden in Bonn Anfang Juni und Anfang August vorbereitende UN Zwischenkonferenzen statt, auf denen man versucht, die Differenzen von Kopenhagen zu überwinden und für Cancun den Weg zu einem Abkommen zu ebnen, dessen Verabschiedung in Kopenhagen nicht gelang.

Besonders für die Europäer, die den Klimaschutz zu ihrem ureigensten Anliegen gemacht haben, war Kopenhagen bitter. Nicht nur, dass ihre Forderung nach mindestens 25 – 40 Prozent Minderung bis 2020 nicht die geringste Chance auf Umsetzung hatte, vor allem die Art und Weise, wie sie de facto von den Schlussverhandlungen, die zum Copenhagen Accord geführt haben, ausgeschlossen und übergangen wurden, ist für Europa echt hart gewesen.

Europa ist in Kopenhagen mit – 20% angetreten, hatte sich aber bereit erklärt, auf – 30 % zu erhöhen, wenn andere Industriestaaten sich zu vergleichbaren Minderungen verpflichten.

Daraus ist nun nichts geworden. Europa steht vor der unangenehmen Frage, wie man sich jetzt zu Cancun positionieren will. Ziemlich bald war klar, was Umweltorganisationen und klima-alarmistische Institutionen fordern würden: Nämlich eine unilaterale Verpflichtung der EU, 30 % bis 2020 zu mindern.

Die frisch gebackene Klimakommissarin der EU, Connie Hedegaard, enttäuschte dann auch nicht, sondern forderte genau die 30 %. Die Bundesregierung wollte das nicht sofort unterstützen, aber der Ressortminister schärfte dann gleich schon mal die Messer und legte am 30. April 2010 in einem Artikel in der FAZ nach: „Den Klimawandel gestalten“ Die Unterstützung und damit der Druck auf andere EU Mitgliedstaaten wuchs am 15. Juli 2010 mit einem weiteren Beitrag in der FAZ „30 Prozent weniger Emissionen bis 2020“, der gemeinsam mit den Umweltministern Frankreichs und Großbritanniens verfasst wurde. Der Tenor beider Artikel ist - wenig überraschend - gleich:

- Mit gegenwärtigen Maßnahmen ist das in Kopenhagen beschlossene 2°C Ziel nicht erreichbar
- Es muss wesentlich mehr reduziert werden
- Die Wirtschaft der westlichen Industriestaaten muss zu einer Low-Carbon Economy umgebaut werden
- 20 Prozent bis 2020 in Europa geben nicht genügend Anreize für den Übergang zu einer Low Carbon Economy, deswegen 30%
- Dies würde eine internationale Vorbildfunktion darstellen, den Investoren in der EU Investitionssicherheit geben

Das spiegelt in etwa auch die Auffassung des WBGU von Ende April 2010 wider (hier), ebenfalls wenig überraschend. Damit das Publikum auch gleich weiß, worum es geht, hat Röttgen noch mal das Archiv alarmistischer Versatzstücke geöffnet, und fast kein Klischee unerwähnt gelassen, auch die nicht, die im Zuge von Climategate als Nonsens entlarvt worden sind:

„Mit den derzeit zugesagten Zielen und Maßnahmen müssen wir jedoch wahrscheinlich noch in diesem Jahrhundert mit einer Erwärmung von mehr als drei Grad Celsius rechnen – und im schlimmsten Fall könnten es auch vier Grad und mehr sein. Mit welchen Folgen ist zu rechnen, wenn es nicht gelingt, die Grenze von zwei Grad Celsius einzuhalten? Hunderte Millionen Menschen werden einer erhöhten Wasserknappheit ausgesetzt sein. Dreißig Prozent oder mehr der Arten drohen auszusterben, Korallen werden weitgehend absterben. Die kontinentalen Ökosysteme drohen von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle zu werden; das würde den Klimawandel beschleunigen. In vielen Entwicklungsländern werden die Getreideernten voraussichtlich kleiner werden. Mehr als dreißig der küstennahen Feuchtgebiete drohen unter den Meeresspiegel zu sinken; viele Millionen Menschen zusätzlich könnten jedes Jahr von Überflutungen betroffen sein, viele Küstenstädte sind bedroht. Die Zahl der Todesfälle aufgrund von Hitzewellen, Überflutungen und Dürren wird deutlich steigen; das wird die Gesundheitsfürsorge belasten“

Der interessierte Leser kann hier zu den meisten der von Röttgen aufgeführten Punkte gegenteilige wissenschaftlich untermauerte Meinungen nachlesen, hier soll eine detaillierte Diskussion in diesem Zusammenhang nicht stattfinden.

An dieser Stelle nur folgender Hinweis:

Wenn wir mit den gegenwärtig zugesagten Maßnahmen mit einer Erwärmung von mindestens 3 sogar 4°C rechnen müssten, warum hat es sich dann in den vergangenen Jahrzehnten nur um ca. 0,15°C/Jahrzehnt erwärmt und nicht um 0,3 – 0,4°C? Auch wenn weltweit der Emissions- und Klimatrend der letzten Jahrzehnte (ohne explizite „Klimaschutzmaßnahmen") beibehalten würde, würde sich das Klima in diesem Jahrhundert höchstens um 1,5°C erwärmen, aber nicht um 3 – 4°C, auch das 2°C Ziel würde nicht überschritten. Der Erwärmungstrend würde sich auch dann nicht beschleunigen, wenn der CO2 Gehalt der Atmosphäre wie in den letzten Jahrzehnten weiter mit etwa 0,4 - 0,5 % per annum anstiege, weil die Erwärmung durch CO2 mit dem Logarithmus der atmosphärischen Konzentration erfolgt. Der Logarithmus eines exponentiellen Anstiegs aber ist eine Gerade. Es gibt keine überzeugenden Argumente dafür, dass sich der Temperaturanstieg in den nächsten Jahrzehnten exponentiell beschleunigen wird, wie offenbar einige Auguren meinen.

Allein deswegen würde die Notwendigkeit schärferer Klimaschutzmassnahmen entfallen, um das 2°C Ziel zu erreichen, wie z. B. der „notwendige Umbau der westlichen Industriegesellschaften zu einer Low Carbon Economy“

Aber sei es wie es sei, der Kern der Aussagen Röttgen’s und seiner französischen und britischen Amtskollegen ist, das Europa und besonders die europäische Industrie einen Vorteil von der von Amts wegen verfügten Umstellung auf eine Low Carbon Economy hätte. Denn um eine von Amts wegen verfügte Umstellung würde es sich handeln, auch wenn das Instrument hierfür die unilaterale Erhöhung des EU Minderungszieles von 20 auf 30 Prozent wäre.

Ein Wettbewerbsvorteil für die europäische Industrie wäre vorstellbar, wenn es technologisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll wäre, die Emissionen in diesem Maße zu mindern, wenn Europa neue Technologien entwickeln würde, die international wettbewerbsfähig sind, das heißt, wenn sie sich weltweit mit Gewinn verkaufen ließen und wenn Europa dadurch eine Marktführerschaft bei diesen Technologien erzielen würde.

Die Verknappung und Verteuerung von fossiler Energie (darum würde es sich letztendlich bei der Erhöhung auf 30% handeln, denn ein 20% Ziel steckt implizit bereits in der EU Emissionshandelsrichtlinie ab 2013 drin, mit der die Emissionen der europäischen Industrie bis 2020 um 21% gegenüber 2005 gemindert werden sollen), die nur auf die EU beschränkt ist, wird nicht zwingend zu mehr Investitionen in der EU und zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industrien im Sinne eines Übergangs zu einer Low Carbon Economy führen.

Vielmehr ist absehbar, dass energieintensive Wirtschaftszweige sich dort neu ansiedeln werden, wo die Energiekosten geringer sind als in der EU, was bereits in der Vergangenheit stattgefunden hat und zukünftig verstärkt stattfinden wird, wie z.B. geschehen mit der Errichtung eines Stahlwerkes von ThyssenKruppStahl in Brasilien oder einer Aluminiumhütte von Norsk Hydro in Quatar.

Bestehende Industrieanlagen verkörpern den technologischen Stand bei ihrer Errichtung und können ihre Energie und Kohlenstoffeffizienz nicht ohne weiteres innerhalb von 5 – 10 Jahren um 20 oder 30 Prozent erhöhen. Sie sind in der Regel für eine Lebensdauer von 20 – 40 Jahren errichtet worden. Der bestehende Industrieanlagenpark in Deutschland hat wahrscheinlich im Durchschnitt eine verbleibende Lebensdauer von vielleicht 20 Jahren. Will man diesen Anlagen eine Minderung von 20 oder gar 30 Prozent bis 2020 auferlegen, zu denen sie technologisch gar nicht in der Lage sind, müsste man diese Anlagen entweder schließen oder mit einem Emissionshandelssystem verpflichten, durch Zukauf oder Produktionsrücknahme derartige Minderungsverpflichtungen zu erfüllen.

Egal wie, jede Variante hätte eine gigantische Kapitalvernichtung zur Folge, denn der Anlagenpark wurde betriebswirtschaftlich unter der Annahme errichtet, dass eine Produktion über die geplante Lebensdauer stattfinden kann.

Auch der Ausbau erneuerbarer (sprich kohlenstoff-freier) Energien, die erheblich teurer sind als die fossilen Energietrager oder die Kernenergie, führt zu einer drastischen Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Energiekosten, die vom Verbraucher – gleich ob privat oder industriell – getragen werden muss.

Gerade die Förderungsmechanismen des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) werden nicht zum Aufbau einer international wettbewerbsfähigen Low carbon Economy führen, sondern sie zementieren lediglich bestehende international nicht wettbewerbsfähige Formen der kohlenstofffreien Energieerzeugung, wie z. B. Windenergie und insbesondere Photovoltaik, aber nicht die Weiterentwicklung wettbewerbsfähiger kohlenstofffreier Energien. Die EEG Förderung kostet die Stromverbraucher pro Jahr mehr als 5 Mrd. EUR, wobei die Förderung einmal installierter Anlagen für 20 Jahre festgeschrieben ist. Ein absoluter Wahnsinn!

Der Erfolg der erneuerbaren Energien beruht nicht auf ihren bestechenden Eigenschaften, wie Klimaneutralität, sondern auf den hohen, zwangsweise von den Stromverbrauchern eingeforderten Subventionen.

Wenn man mal Erneuerbare Energien, Photovoltaik und Einspeisevergütung googelt, wird man von einer wahren Sintflut von Angeboten ertränkt, in denen einem das Blaue vom Himmel versprochen wird hinsichtlich Rendite etc. Hier findet eine massive Umverteilung von den Taschen vieler in die Taschen weniger statt.

Verdienen wollen alle an diesem Boom: Bürger, die sich eine Solaranlage auf dem Dach montieren, weil sie sich die Förderung sichern und damit Geld verdienen wollen, Handwerksbetriebe, die diese Anlagen montieren, Firmen, wie Solarworld, Q-Cells, usw., die diese Anlagen herstellen, Betreiber von Windparks, die diese Parks als Investitions- und Renditeobjekte anbieten usw.

Handlungsmotivation ist in den meisten Fällen eine Gewinnerzielungsabsicht und weniger der Wunsch, für das Klima was zu tun.

Entscheidend ist auf jeden Fall, dass ohne Subventionierung keine einzige dieser Anlagen gebaut würde und dass auch weltweit nur dort derartige Anlagen gebaut werden, wo sie subventioniert werden. Ohne Subventionen keine Erneuerbaren Energien.

Einen weltweiten Durchbruch für kohlenstoffarme- oder freie Energietechnologien wird es nur dann geben, wenn sie wettbewerbsfähig im Vergleich zu fossilen Energien sind.

Eine künstliche, staatlich verordnete Verteuerung fossiler Energien in einzelnen Ländern oder Wirtschafträumen, wie der EU, um Erneuerbare wettbewerbsfähig zu machen, wird international kein Erfolgsmodell werden, wie sich bereits in den USA, aber auch in anderen Industrieländern, wie Australien gezeigt hat. Ein Exportschlager werden kohlenstoffarme oder –freie Energietechnologien nur dann, wenn ihr Mehrpreis durch die eingesparten Kosten für fossile Energien gerechtfertigt ist. Das ist allerdings nicht der Fall, wenn man die Subventionen herausrechnet.

Insofern kann der Aufruf der europäischen Umweltminister nach Entwicklung von Low Carbon Technologien in der EU durch staatlich verordnete Verknappung und Verteuerung fossiler Energieträger (worauf die Forderung nach 30%iger Minderung bis 2020 letztendlich hinausläuft) nur dann erfolgreich sein, wenn fossile Energieträger auch im Rest der Welt drastisch verteuert werden, denn sonst wären teure europäische Low Carbon Technologien auf den internationalen Märkten chancenlos.

Die Chancen für eine staatlich verordnete Verteuerung sind allerdings, wie das Beispiel USA und die gescheiterte Einführung eines Emissionshandels dort gezeigt hat, nicht besonders hoch.

Die Argumente der drei Umweltminister, eine Erhöhung auf 30 Prozent führe zu einer Erhöhung der Planungssicherheit für Investoren und zu einer Ausweitung des Volumens der Märkte kohlenstoffarmer Technologien sind ebenfalls nicht ganz schlüssig.

Man kann die Erhöhung der Planungssicherheit für Investoren in Neuanlagen auch so verstehen, dass sie jetzt genauer wissen, dass die Energiepreise in Europa deutlich höher sein werden als anderswo, und dass sie gut daran beraten sind, nicht in Europa sondern dort in neue Anlagen zu investieren, wo das Energiepreisniveau und somit die Kosten niedriger sind als in Europa.

Bei bestehenden Anlagen wird sich dann der Einsatz fossiler Energien deutlich verteuern, was die Anlagenbetreiber ebenfalls eher dazu veranlassen wird, nicht über die Ausweitung oder Beibehaltung der Produktion in Europa nachzudenken, sondern über den Aufbau neuer Kapazitaten anderswo. Diese Art von Planungssicherheit ist wohl kaum beabsichtigt.

Das Marktvolumen für Kohlenstoffarme Technologien kann natürlich in Europa deutlich weiter wachsen, wenn die Subventionen weiter fließen wie bisher, oder noch ausgeweitet werden. Nur: Sie werden kein Exportschlager werden in Regionen, die einer staatlich verordneten Energiepreiserhöhung nicht unterliegen bzw. wo keine Subventionen gezahlt werden.

Was man subventionieren sollte, ist die Weiterentwicklung von kohlenstoffarmen Energietechnologien, aber nicht die Festschreibung der gegenwärtigen, teuren und nicht wettbewerbsfahigen Technologien für die nächsten 20 Jahre.

Röttgen’s Artikel und der seiner Amtskollegen zielt auf zweierlei:

1. Profilierung in der innenpolitischen Diskussion, vor allem gegenüber den Umweltgruppierungen
2. Wegebnung für Cancun, unilaterales 30% Ziel der EU

Kanzlerin Angela Merkel hat sich schon zum 30 % Ziel geäußert und verlauten lassen, dass Deutschland dem nur zustimmen werde, wenn die Wirtschaft nicht geschädigt werde. Daran hätte sie aber auch schon bei der Verabschiedung der Koalitionsvereinbarungen im vergangenen Herbst denken können, denn ein unilaterales - 40% Ziel bis 2020 ist für Deutschland allein beinahe schlimmer als ein 30% Ziel für die EU. Insofern ist die Äußerung von Angela Merkel reine Rhetorik.